Stadtverschönerung auf eigene Faust – nicht immer gern gesehen

Urban Gardening ist eine aus Großbritannien stammende Bewegung, bei der vernachlässigte öffentliche Flächen vor allem in Großstädten in Eigeninitiative bepflanzt, gepflegt und so wieder belebt werden. Umweltaktivisten, Globalisierungskritiker und Anarchisten gehören zu den treibenden Kräften dieser Aktionen.

In Deutschland gilt Urban Gardening eigentlich als Straftat oder Sachbeschädigung (!). In der Regel sehen die Kommunen als für den öffentlichen Raum zuständige Behörde hiervon jedoch ab. So mancher Stadtkämmerer ist sogar froh, dass auf diese Art sein knappes Budget für Stadtbegrünung entlastet wird oder nimmt sie als Anstoß, um über die offizielle Gestaltung städtischer Flächen nachzudenken.

Eine andere Art der Weiterentwicklung dieser Ideen ist derzeit noch in Köln zu sehen: man könnte es „Urban Art“ nennen.

Fortsetzung unten!

Der Dorothee-Sölle-Platz in Köln ist ein kleiner Grünflecken auf einem verkehrsberuhigten Kreisverkehr, 6 Straßen gehen von hier ab. Trotz der ruhigen Wohnumgebung ist er zentral gelegen: in 200 Metern erreicht man den Kaiser-Wilhelm-Ring, eine u. a. mit Kinos, Restaurants und Diskotheken belebte Flaniermeile. U- und S-Bahn sowie ein größerer Park mit Außengastronomie sind in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar.

Jahrelang führte das Plätzchen ein stiefmütterliches Dasein, wenig gepflegt und beliebt am ehesten noch bei den nächtlichen Partygängern, die die Grünfläche zum Urinieren missbrauchten. Bis vor drei Jahren Rolf „Ketan“ Tepel auftauchte, ohne lange zu fragen mit Kreativität und Einsatzwillen an die Arbeit ging und das grüne Rund in ein städtisches Kleinod als Ruheraum und Begegnungsstätte für die Leute im Veedel verwandelte.

Ketan (65) ist in Köln kein Unbekannter. Zehn Jahre lebte er in einem Bauwagen auf einer Brachfläche am Eifelwall, direkt im Schatten des benachbarten Amtsgerichts. Nach und nach zog es einige gleichgesinnte Aussteiger auf die Fläche, die das Gestrüpp und den illegal dort abgeladenen Müll beseitigten oder künstlerisch verarbeiteten und als Wohngemeinschaft relativ autonom ein einfaches Leben führten, ohne anderen zur Last zu fallen. 2015 mussten Ketan und seine Mitstreiter den Platz für das dort neu entstehende Stadtarchiv räumen.

Inzwischen hat Ketan eine Anrainerin des Dorothee-Sölle-Platzes geheiratet und bekam so einen neuen Raum vor Augen, um seinen Inspirationen freien Lauf zu lassen.

Entstanden ist dabei ein an buddhistisch-tibetanische Wegmarken angelehnter Ruhepunkt: unter einem kleinen Pavillon ein mit bunten Gebetsfahnen verzierter Altar, bestehend aus einem behauenen und mit einer Palmfettschicht versehener Stein (Ketan: „zum Nachdenken – denn für dieses Fett werden Urwälder gerodet.“). Im Kreis darum weitere quaderförmige Steine, auf denen bequem je 2 Leute sitzen können – „als Forum“. Die Steine sind Überbleibsel einer abgerissenen Eisenbahnbrücke im Stadtgebiet. Zuletzt kamen noch drei überlebensgroße, in goldfarbene Kutten gewandete Wächterfiguren hinzu.

Natürlich trifft diese Initiative nicht jedermanns Geschmack. Vor allem Gemeindemitgliedern der an dem Platz gelegenen evangelischen Christuskirche ist diese offensichtliche Konkurrenz-Kultstätte ein Dorn im Auge. Kein Wunder: Die Namenspatronin des Platzes war eine evangelische Theologin. Immer wieder musste Ketan Sabotageschäden an seinem Werk ausbügeln. „In einem Fall hat die Polizei sogar eine Kirchenaktivistin ertappt, die die Bänder der Gebetsfahnen zerschnitten hatte“, so Ketan. Die auch von den christlichen Kirchen propagierte Toleranz und Nächstenliebe scheint in diesem Fall wohl nicht verinnerlicht worden zu sein.

Wohl auch auf Betreiben einiger missliebiger Bürger hat sich schließlich die Stadtverwaltung der Sache angenommen. Andreas Hupke, grüner Bezirksbürgermeister, meint dazu: „Was Ketan da macht, geht zu weit. Er kann nicht alleine über den Platz entscheiden. Wie alle anderen Künstler muss er sich an die Regeln halten. Das hat auch etwa HA Schult mit seiner Müll-Stadt so gemacht. Sonst wären Künstler, deren Arbeit in einem normalen Verfahren zustande kommt, benachteiligt.“

Als Folge daraus bekam Ketan am 18.11.2020 Post vom Ordnungsamt: Anhörung mit Androhung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens. Seine Antwort an die Stadtverwaltung:

„Wenn es der allgemeinen und öffentlichen Ordnung der Stadt Köln entspricht, dass ein öffentlicher Platz, eine öffentliche Grünanlage, vor einer Kirche, über Jahrzehnte, hauptsächlich bis ausschließlich, zum Urinieren und Koten von Mensch und Tier ‚genutzt‘ wird, dann verstoßen alle reinigenden, aufwertenden und gestaltenden Maßnahmen, die ich diesem öffentlichen Raum (…) freiwillig, selbstständig und kostenfrei aus eigenem Antrieb habe zukommen lassen, gegen diese öffentliche Ordnung!“

 

Trotzdem will Ketan nun das Feld räumen und seine Installationen noch vor Jahresende vom Platz entfernen. An Ideen für alternative Verwendungsmöglichkeiten mangelt es ihm nicht: eine der Wächterfiguren ist bereits verkauft. Für die Steine hat er schon diverse andere Standorte ausersehen, unter anderem den Hof einer Schule in Köln-Buchheim, die damit ein „Außen-Klassenzimmer“ einrichten will. Und 2022 sollen sie für eine Installation bei der Kasseler Documenta dienen: „Es sind auf eine andere Art auch Stolpersteine – denn über sie sind im Krieg die Truppentransporte an die Westfront wie auch die Deportationen von Juden, Sinti und Roma gerollt“, führt er dazu an.

 

Bis dahin bleibt noch ein wenig Zeit, dieses Beispiel von „Urban Art“ an Ort und Stelle anzusehen. Bleibt zu hoffen, dass der kleine Platz danach nicht wieder der Verwahrlosung überlassen wird.

 

Udo Slawiczek

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