Seebrücke: Sofort Afghaninnen und Afghanen retten – der Krieg war vermeidbar

An diesem Sonntag gab es in über 100 Städten wieder Proteste gegen die Abschiebung geflüchteter Afghanen, so auch in Berlin. 64 Prozent der Deutschen sprechen sich gegen Abschiebungen aus und für das Menschenrecht auf Unversehrtheit ihres Lebens. Horst Seehofer (CSU) sah das offenbar anders. Doch seit heute wird der Irrsinn noch getoppt. Weiter hier!

 Horst Seehofer ist offenbar der menschenrechtliche Engpass in der gegenwärtigen Koalition. Als Innenminister hat er noch Anfang August Abschiebungen gefordert und die Aufnahme von Flüchtlingen boykottiert. Insofern steht er der rechtsradikalen AFD in nichts nach. Die Bundesregierung hatte mit der AFD zusammen am 23. Juni im Deutschen Bundestag sogar gegen eine Gruppen-Rückführung der afghanischen Hilfskräfte gestimmt.

Hin- und Herschieberei von Verantwortungslosigkeit

Nun kritisiert das Außenministerium von Heiko Maas (SPD), dass Seehofer bewusst auf den starren Visaverfahren beharrte, obwohl klar war, „dass wir mit diesem Verfahren die Menschen nicht schnell genug aus dem Land bekommen“, so die Menschenrechtsbeauftragte der SPD, Bärbel Kofler, Medien gegenüber.

In einem früheren Betrag hatten wir bereits auf die politische Verlogenheit deutscher (und US-Amerikanischer) Kriegsbeteiligung gegen Afghanistan hingewiesen. Denn es war spätestens seit 2014 abzusehen, dass der Krieg verloren ist. Vor ein paar Monaten noch hieß es von der Bundesregierung: “Wir lassen niemanden zurück”. Doch der Schutz in Deutschland wird versagt, der Familiennachzug verschleppt und die rechtzeitige Evakuierung gefährdeter Personen und ihrer Familienangehörigen torpediert.

Zahlreiche Organisationen hatten zu den Protesten aufgerufen, vor allem die NGO „Seebrücke“. Ihrer Aktion „Sichere Häfen“ für eine menschliche Migrationspolitik haben sich inzwischen 250 Städte und Kommunen angeschlossen. Es geht jetzt vor allem auch um den Schutz von Afghaninnen und Afghanen, die sich seit Jahren für ein friedliches und demokratisches Afghanistan einsetzen und nun für ihr Leben fürchten müssen. Ob das bis Ende August gelingt, wird heute von dem EU-Außenbeauftragten Josep Borell stark angezweifelt, melden verschiedene Medien. Um den Flughafen Kabul entsteht Massenpanik. Wie heute gemeldet wird, gibt es inzwischen sieben Tote. Wie gemeldet wird, wächst auch die Anschlagsbedrohung durch den sogenannten „Islamischen Staat“, IS. 

Der Irrsinn seit heute getoppt!

Wir wollen nicht den Ursprung des Desasters vergessen. Die unüberlegte Entscheidung des chaotischen Präsidenten Donald Trump im vergangenen Jahr und die nicht weniger desaströse Entscheidung von Präsident Joseph Biden zum Abzug der Truppen Hals-über-Kopf haben die Bundesregierung in diese Zwangslage versetzt.

Dabei hätte man vor vielen Jahren den Krieg in Afghanistan durchaus beenden können. Bereits im Jahr 2001 gab es mit den Thaliban Friedensverhandlungen mit weitreichenden Zugeständnissen. Doch die US-Amerikaner waren dazu nicht bereit, weil sie die Thaliban „auslöschen“ wollten. „Wir verhandeln nicht über Kapitulationen“ äußerte Außenminister Donald Rumsfeld damals. Die USA wollten den Thaliban-Führer nicht am Leben lassen. „Die Vereinigten Staaten wollten ihn gefangen nehmen oder tot sehen“, berichtet die New York Times am 23. August. *) Wir erinnern uns: Gegen den damaligen und kürzlich verstorbenen Donald Rumsfeld – der Mann für’s Grobe für Präsident Georg W. Bush – lag beim deutschen Bundesanwalt eine Strafanzeige wegen Kriegsverbrechen im Irak vor. Rumsfeld wollte damals gern zwei Kriege führen, gegen Irak und gegen Afghanistan. Seine engen Beziehungen zur Rüstungsindustrie sind hinlänglich bekannt.

‚“Ein Fehler war, dass wir den Verhandlungsversuch der Taliban abgelehnt haben“, sagte Carter Malkasian, ein ehemaliger Berater von General Joseph Dunford, der während Teilen der Obama- und Trump-Administration Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff war, über die amerikanische Entscheidung, vor fast 20 Jahren nicht über eine Kapitulation der Taliban zu sprechen‘, so die New York Times.

Die künftige Bundesregierung sollte sich überlegen, ob sie sich derart eng an zweifelhafte Entscheidungen der USA binden sollte. Im Krieg gegen den Irak hatte das funktioniert. Und sie sollte darüber nachdenken, ob ein derartig geringer Einfluss auf NATO-Entscheidungen gut für dieses Land ist. (23.08.2021, Hans-Dieter Hey, Fotos: Margita Görner und Rudi Denner)

Aktualisierung am 26.08.2021

Mitglieder der Partei Die Linke hatten sich am 24. August bei dem Antrag der Bundesregierung „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan“ enthalten. Dies wird ihr von rechten und konservativen Politikern vorgeworfen, leider auch von manchen Medien. Man muss sich das mal vorstellen: Da verliert Deutschland nach dem II. Weltkrieg einen Krieg zusammen mit der mächtigsten Kriegsmacht der Welt USA gegen Afghanistan mit vielen Toten und hohen Kosten, fliegt hochkantig dort raus und endet mit der Kapitulationserklärung von Angela Merkel am 25.08. Und nur einen Tag vorher, am 24.08., wird eben von dieser Bundesregierung ein „bewaffneter Einsatz“ zur Rettung von afghanischen Flüchtlingen beschlossen. Prompt drohen massive Anschläge auf den Militärflughafen von Kabul und Evakuierungen werden bereits am 26.08. eingestellt. Mit Laschets „Das Jahr 2015 wiederholt sich nicht“ wird eindeutig klar, dass man keine Flüchtlinge retten wollte. Innenminister Horst Seehofer log sogar Millionen von Flüchtlingen herbei, obwohl das Land bereits hermetisch abgeriegelt ist. Und es kommt noch dicker: Armit Laschet will nach der Regierungsübernahme noch mehr aufrüsten und die militärische Präsenz Deutschlands in der Welt erhöhen. Da fehlen einem glatt die Worte!

Die Gründe für die Ablehung im Deutschen Bundestag in der persönlichen Erklärung, z.B. von Ulla Jelpke, hier!

 

Die Initiatoren der Demonstration fordern:

• Die Bundesregierung muss die Luftbrücke zur Evakuierung mit aller Kraft aufrecht erhalten – und möglichst viele Menschen aufnehmen.
• Innerhalb Afghanistans müssen Fluchtwege zum Flughafen Kabul für gefährdete Personen geschaffen werden.
• Afghan:innen müssen in Deutschland Flüchtlingsschutz bekommen.
• Der Familiennachzug zu in Deutschland lebenden Afghan:innen muss unbürokratisch und schnell erfolgen.
• Bundes- und Landesaufnahmeprogramme für Afghan:innen aus den Anrainerstaaten Afghanistans müssen eingerichtet werden.
• Politische Veränderungen schaffen wir nur durch den kollektiven Druck auf der Straße. Deswegen schließt euch uns an: Schutz für Afghaninnen und Afghanen jetzt!

Zu den Protesten riefen auf: Seebrücke // Adopt a Revolution // Afghanisches Kommunikations- und Kulturzentrum (AKKZ) // Afrique Europe Interact // // Antirassistische Initiative Berlin // Balkanbrücke // Café Internationale // Europe Cares //Europe Must Act // Fish in Water Films // Flüchtlingsrat Berlin e.V. // Flüchtlingsrat Bremen e.V. // Flüchtlingsrat NRW // Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt // Jugendliche Ohne Grenzen // KommMit e.V/BBZ- Beratung und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und Migrant*innen. // LSVD Sachsen-Anhalt e.V. // Migrantifa // Neue Richtervereinigung // PRO ASYL // Projekt „Zusammenleben Willkommen“ // Protest LEJ // Solidarisch geht anders! // Verein iranischer Flüchtlinge in Berlin e.V.

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*) New York Times vom 23.08.2021

3 Gedanken zu „Seebrücke: Sofort Afghaninnen und Afghanen retten – der Krieg war vermeidbar“

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