Frieden trifft Bundestagswahl

Am 25. August gab es die öffentliche Kapitulationserklärung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die internationalen Truppen ziehen sich aus Afghanistan zurück. Die Helferinnen und Helfer der Deutschen vor Ort können kaum aus dem völlig zerrütten Land gerettet werden. Ein epochales Desaster größten Ausmaßes in unserer Nachkriegsgeschichte. Laut wissenschaftlichem Dienst des Deutschen Bundestages waren alle unsere Kriegseinsätze seit 1999 grundrechtswidrig. Haben wir nichts gelernt? Warum aber spielt Friedensdebatte, Konfliktbewältigung und Friedensförderung bei dieser Richtungswahl 2021 kaum eine Rolle? Weiter hier!

In dieser Veranstaltung der Melanchthon-Akademie Köln, der Kölner Friedensbewegung und des DGB Köln am 30.08. ging es um die Frage, ob das Ziel der zweiprozentigen Aufrüstung und die bisherige Bewältigung kriegerischer Auseinandersetzung angesichts der waffenstarrenden Welt überhaupt geeignete Konzepte enthält. Dagegen stehen die offenbar bisher zu wenig genutzten Möglichkeiten friedlicher Konfliktbewältigung. Das Thema scheint – folgt man den Wahlplakaten – nur für die Partei Die Linke wichtig zu sein. FDP, Grüne und Linke stellten sich den Themen, Vertreter der Regierungsparteien suchte man vergebens.

1.000 Milliarden Dollar für wenig Erfolg

Trotz der enormen Kosten von 1.000 Mrd. (!) Dollar war es dem Militärbündnis in 20 Jahren nicht gelungen, die Taliban zu besiegen. Jährlich wurde eine Verlängerung des Kriegs beschlossen. Inzwischen sind die Taliban die am besten ausgerüstete Terrororganisation der Welt, mit der man nun gezwungen ist, zu verhandeln. Seit Jahrzehnten wurden islamistische Ideologien von Saudi-Arabien, Pakistan und Katar unterstützt. Und Gleichzeitig lieferte Deutschland dorthin Waffen, wird aus dem Chat kritisiert. 10.000 deutsche Pistolen sind in Afghanistan „verschwunden“. 

Weiter in der Logik der Aufrüstung?

Dr. Witich Roßmann (DGB Köln): „Der DGB hatte 2017 angesichts der drohenden Wahl von Donald Trump die Initiative ‚#No2Percent‘“ gestartet. SPD, Grüne und Linke stellten sich gegen eine Erhöhung des Rüstungsetats um zwei Prozent, die CDU dafür um – wie es vielfach hieß – Herrn Trump nicht zu verärgern. „Die Bilanz nach 4 Jahren ist ernüchternd. Deutschland hat seinen Platz 7 mit 47 Mrd. Rüstungsausgaben gehalten, hatte sogar im letzten Jahr mit einer fünfprozentigen Steigerungsrate höchste Wachstumsrate von allen großen Ländern und weltweit haben wir mit 1.446 Mrd. eine gigantische Zahl. Das 2-Prozent-Ziel würde heißen, dass wir nochmals 20 Mrd. Euro für Rüstungsausgaben ausgeben müssen.“ Geld – so Roßmann – dass wir angesichts der Pandemie, für die ökologische Transformation und anderer Bereiche dringend brauchen. Ein „weiter so“ würden der Logik der Aufrüstung weiteren Schub geben.

Anna Kipp (Bündnis 90/Die Grünen): „Wir wollen die Nato strukturell und auch strategisch neu ausrichten. Was auch bei Afghanistan wieder zutage getreten ist, hat wieder zu einer starken humanitären Krise vor Ort geführt.“ Der Fehler sei auch gewesen, keine langfristige Strategie gehabt zu haben. „Wir müssen darüber hinaus stärker in Krisenintervention investieren“. Auch die Vereinten Nationen müssten durch Gleichberechtigung gestärkt werden. Und weiter: „Die Bündnisgrünen sind gegen autonome Waffensysteme, Einsätze ohne UNO-Mandat und das Verbot von Atomwaffen.“ Allerdings sehen die Bündnisgrünen kein Problem darin, bei Menschenrechtsverletzungen militärisch zu intervenieren. Aus dem Chat wurde kritisiert, dass bisher in keinem Land die Politik der „Responsibility to Protect“ (militärische Unterstützung zur Selbsthilfe) funktioniert hätte. Hier zeigt sich eine gewisse Widersprüchlichkeit wenn Kipp meint, dass aus wissenschaftlicher Sicht „mehr Krieg noch nie zu mehr Frieden geführt hat“. 

Mehr „Verantwortung“ oder #No2Percent

Volker Görzel (FDP) möchte die FDP auf einer Aufrüstung bestehen: Angesichts der Lage zum Beispiel in Afghanistan und der Ukraine „wir werden nicht umhin kommen, als Deutsche oder Europäer ein Stück weit mehr Verantwortung zu übernehmen.“ Auslandseinsätze ohne UNO-Mandat würde die FDP nicht mittragen. Hier bleibt Görzel unklar. Christian Lindner und Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmerman hatten seinerzeit für eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes ohne UNO-Mandat gestimmt. Die FDP plädiert für eine europäische Armee. Der Rückzug der USA aus Afghanistan habe gezeigt „dass wir nicht mehr in der Lage waren, ohne die Hilfe der USA das Mindestmaß zu leisten“.

Uneinigkeit bestand in der Frage der Waffenlieferungen, deren grundsätzliches Verbot die FDP ausschließt. Die Linke lehnt Waffenlieferungen grundsätzlich ab, fordert aber für Ausnahmen ein Rüstungsexport-Kontrollgesetz, die Bündnisgrünen tolerieren Waffenlieferungen an Staaten, die Menschenrechtsverletzungen begehen. Es gäbe bisher viel zu wenig Transparenz, so Beate Hahne-Knoll.

Ein Chat-Mitglied erinnerte an die Aussage des US-Amerikanischen Präsidenten Eisenhower im Jahr 1961: „Wir müssen auf der Hut sein vor unberechtigten Einflüssen des militärisch-industriellen Komplexes, ob diese gewollt oder ungewollt sind. Die Gefahr für ein katastrophales Anwachsen unbefugter Macht beseht und wir weiter bestehen. Wir dürfen das niemals zulassen, dass das Gewicht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unseren demokratischen Prozess bedroht“. Sicher ein Thema, das in der medialen Debatte so gut wie keine Rolle spielt.

Beate Hahne-Knoll (Die Linke): „Wir stehen voll hinter der Forderung „#No2Percent“ (…) Die Linke ist für einen Abzug aus allen Auslandseinsätzen. Wir sind dafür, dass die Nato aufgelöst wird und ein anderes, gesamteuropäisches Konstrukt entsteht, dass eher für eine konfliktorientierte, zivile Lösung eintritt.“ Insbesondere geht es der Linken um die Entziehung der Bundeswehr durch das Oberkommando der NATO. Strittig ist, ob eine Auflösung der NATO so einfach möglich ist.

Militärische Probleme – so Hahne-Knoll – müssten vor Ort mit diplomatischen Beziehungen friedlich gelöst werden. Die katastrophale Evakuierung der afghanischen zivilen deutschen und ausländischen Helfer hätte gezeigt, dass hier militärische Lösungen ungeeignet sind. Der Antrag der Linken „sei leider nicht durchgekommen, das ist schlimm“. Auch „der Atomwaffenverbots-Vertrag muss von Deutschland unterschrieben werden. 2010 hat man sich darauf geeinigt, dass man die Atomwaffen aus Deutschland herausbringt“. Diese müssten nun zügig in die USA gebracht werden.

Die Frage nach anderen Konfliktlösungen dringender denn je

Christoph Bongard vom Forum (Ziviler Friedensdienst ZFD) fragt, ob ein Untersuchungsausschuss gefordert wird und eine Enquete-Kommission und ob die Parteien sich für friedliche Friedensdienste einsetzen würden. „Wir mal so etwas wie ein Vorreiterland, wir sind dabei, diesen Status leider zu verlieren beim Ansatz der Bearbeitung der zivilen Konfliktlösung.“ Dieser zivile Friedensdienst sei in 50 Konfliktländern eingeführt worden. Nun würden die Gelder im nächsten Jahr zusammengestrichen. Dabei wäre ein Demokratie-Förderungsgesetz für Deutschland auch für Friedensmissionen hilfreich.

Linke, Grüne und FDP sprechen sich für einen Untersuchungsausschuss zu Afghanistan aus. „Das ist sehr dringend, die Linke war ja ohnehin nicht für diesen Auslandseinsatz.“ In den zivilen Friedensdienst „müssen viel, viel mehr Geld hineingesteckt werden“, so Beate Hahne-Knoll. Zur Lösung müsse zudem eine Enquete-Kommission eingerichtet werden für eine grundsätzlich neue Lösung für kriegerische Konflikte.

Anna Kipp wünscht sich eine stärkere wissenschaftliche Beteiligung bei der Aufarbeitung und Lösung bei kriegerischen Konflikten. Die Kolonialisierung und De-Kolonialisierung in Afrika mit all ihren Problemen hätte gezeigt, dass es an Aufarbeitung fehle. „Ich glaube, dass man dieses ganze postkoloniale Bewusstsein stärker in den Blick nehmen muss“, so Kipp. Dazu käme, dass „Konflikte durch Hunger und Pandemien entstehen, auch durch den Klimawandel entstehen mit mehr Konflikten um Ressourcen, weil Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren“. Auch die Grünen setzen sich für ein Demokratie-Förderungsgesetz ein. Zudem müsse dringend etwas gegen die illegalen „Push-Backs“ an den europäischen Außengrenzen getan werden. „Da blockiert Deutschland in den letzten Jahren, da passiert einfach zu wenig. Wir werden unserer Verantwortung nicht gerecht.“

Hahne-Knoll: „Es wird immer so gesagt, dass wir uns auf mehr Geflüchtete einstellen müssen. Aber es sollte das Bestreben sein, dass nicht zuzulassen, sondern vor Ort müssen die Gründe, warum man flieht, behandelt werden. Man braucht einen gerechteren Handel, das Lieferungskettengesetz wurde genannt“. Die großen Konzerne sollten vor allem nicht die Dinge in der Hand haben wie zum Beispiel Anbau von Monokulturen oder Land-Crabbing.

Mit Blick auf diesen Satz des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Eisenhower ist der visionelle Beitrag zu einer friedlichen Welt von Stefanie Intveen (DFG/VK, Kölner Friedensforum) beachtenswert. (31.08.2021, Hans-Dieter Hey)

 

 

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