Zum Tod von Theodor Bergmann


Variablen setzten Beginn

Ein aufrechter Mensch

Dann fangen wir eben noch mal von vorne an. Ein Nachruf auf Theodor Bergmann

Von Bernd Riexinger in: junge welt v.l 16.06.2017

Bis kurz vor seinem Tod rief mich Theodor in unregelmäßigen Abständen an und sagte: »Bernd, wann hast du Zeit, wir müssen einiges miteinander bereden«. Dann trafen wir uns meistens bei mir in Stuttgart. Bis zu seinem 100. Lebensjahr kam er größtenteils mit der Straßenbahn und mit dem Bus. Ich kochte uns was zum Mittagessen, und wir redeten: über die Weltpolitik, seine letzte Reise nach China oder über aktuelle Fragen der Politik der Linkspartei, über die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Er schickte mir noch vor wenigen Wochen sein aktuelles Buch über China. Das Land und seine Entwicklung hatten ihn in den letzten zehn bis 15 Jahren seines Lebens besonders interessiert und fasziniert. »Ich möchte herausfinden, was es an Alternativen zum Kapitalismus gibt. Ich glaube nicht, dass sie dort den Kapitalismus wiederherstellen«, sagte er dann.

Egal, ob Kuba, Vietnam oder China, es war ein Teil seiner Suche nach Ansätzen, jenseits des Kapitalismus und jenseits des gescheiterten Sowjet-Sozialismus eine andere Gesellschaft aufzubauen. Michail Gorbatschow war für ihn kein Verräter, eher jemand, der zu spät gekommen war. Dafür rechnet er umso klarer und kompromissloser mit dem Stalinismus und seinen verheerenden Folgen für die kommunistische Bewegung ab. In dem Buch »Ketzer im Kommunismus« biografierte Theodor Bergmann so unterschiedliche Kommunisten wie Nikolai Bucharin und Leo Trotzki. Er wollte deutlich machen, dass es andere Wege als den Stalinismus gegeben hätte und dieser keinesfalls geschichtlich determiniert war.

Diese Einstellung und Haltung war ganz in der eigenen Lebensgeschichte angelegt. Der 1916 in einer jüdischen Familie geborene Theodor Bergmann schloss sich Anfang der dreißiger Jahre der von August Thalheimer und Heinrich Brandler gegründeten KPD-Opposition an (KPO). Diese wichtigste Strömung innerhalb der Kommunistischen Partei hatte früh die Gefahr des heraufziehenden Faschismus erkannt und die damals in der KPD vorherrschende Sozialfaschismustheorie kritisiert. Nach dieser Doktrin der KPD würde der Faschismus schnell wieder verschwinden. Die größere Gefahr wären die Sozialdemokraten, die in Wirklichkeit Sozialfaschisten wären. Die KPO forderte statt dessen die Herstellung einer Einheitsfront zwischen KPD und SPD gegen den heraufziehenden Faschismus. Außerdem kritisierte die KPO die Herausbildung eigener Gewerkschaften der KPD, der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Tatsächlich konnten die RGO-Gewerkschaften weniger Streiks auf die Beine stellen als die vermeintlich verräterischen ADGB-Gewerkschaften.

Diese strategisch falsche Politik der KPD war maßgeblich verursacht durch die stalinistische Vereinheitlichung und Unterordnung der kommunistischen Parteien unter die Komintern. Die KPO verzichtete weitgehend auf eine klare Bewertung des Stalinismus in der Sowjetunion, kritisierte aber immer, die Einmischung der KPdSU in die inneren Angelegenheiten der KPD und anderer kommunistischer Parteien sowie die Einschränkung innerparteilicher Demokratie und die Unterdrückung offener Diskussionen.

Theodor Bergmann musste 1933 wie viele seiner Genossinnen und Genossen emigrieren und landete nach vielen Stationen in Schweden im Exil. Er arbeitete in der Führung der Exil-KPO. Nach 1945 wurde die Gruppe Arbeiterpolitik die Nachfolgeorganisation der KPO und Theodor Bergmann Redakteur ihrer gleichnamigen Zeitschrift. Es ist mir nie so ganz klargeworden, warum er sich mit der Gruppe überwarf und gleichzeitig mit seinem Bruder Josef Bergmann, ein charismatischer Kommunist, der in Hamburg wirkte. Ein Grund war wohl die Palästina-Frage. Erst kurz vor dem Tod seines Bruders hatte er sich nach vielen, vielen Jahren wieder mit ihm getroffen.

Theodor studierte Agrarwissenschaften und wurde 1973 Professor an der Universität Stuttgart Hohenheim. In den neunziger Jahren trat er der PDS bei und wurde in Baden-Württemberg deren Landesvorsitzender. 2007 wurde er Mitglied der Partei Die Linke. Neben seinen vielen Publikationen und Studienreisen blieb er bis zu seinem Tod ein wachsamer und engagierter Zeitgenosse. Für die Politik der Gewerkschaften interessierte er sich sehr, besonders für die Bewegungen an der Basis. Für die Politik der Führungen hatte er wenig übrig. Wie der über 90jährige die vielen Streikversammlungen der jungen Verkäuferinnen bei H&M und andere beim öffentlichen Dienst besuchte und offensichtlich große Freude daran hatte, war schon bewundernswert. Erstaunlich, welche Faszination Theodor auf junge politisch interessierte Menschen ausübte. Seine ungebrochene Persönlichkeit und sein fast grenzenloser Optimismus strahlten aus. Es beeindruckte, wenn er sagte, er wäre immer noch Kommunist, wenn auch ein kritischer. Wenn große Niederlagen zu verkraften waren, sagte er: »Dann fangen wir eben wieder von vorne an.« Nicht unerwähnt darf bleiben, dass Theodor über viele Jahre hinweg Gretel, seine kranke Ehefrau und politische Weggefährtin aufopferungsvoll pflegte.

Ein aufrechter Mensch, ein kritischer Kommunist, ein guter Ratgeber und Freund ist am Montag im hohen Alter von 101 Jahren nach kurzer Krankheit gestorben. Es war ihm vergönnt, bis zum Ende seines Lebens geistig rege geblieben zu sein. Er hinterlässt 50 Bücher, zahlreiche weitere Veröffentlichungen und eine große Lücke. Wir werden Theodor Bergmann nicht vergessen. Fotos: KP Wittmann

Theodor Bergmann auf den Sozialismustagen 2016

Ein aufrechter Mensch

Dann fangen wir eben noch mal von vorne an. Ein Nachruf auf Theodor Bergmann

Von Bernd Riexinger in: junge welt v.l 16.06.2017

Bis kurz vor seinem Tod rief mich Theodor in unregelmäßigen Abständen an und sagte: »Bernd, wann hast du Zeit, wir müssen einiges miteinander bereden«. Dann trafen wir uns meistens bei mir in Stuttgart. Bis zu seinem 100. Lebensjahr kam er größtenteils mit der Straßenbahn und mit dem Bus. Ich kochte uns was zum Mittagessen, und wir redeten: über die Weltpolitik, seine letzte Reise nach China oder über aktuelle Fragen der Politik der Linkspartei, über die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Er schickte mir noch vor wenigen Wochen sein aktuelles Buch über China. Das Land und seine Entwicklung hatten ihn in den letzten zehn bis 15 Jahren seines Lebens besonders interessiert und fasziniert. »Ich möchte herausfinden, was es an Alternativen zum Kapitalismus gibt. Ich glaube nicht, dass sie dort den Kapitalismus wiederherstellen«, sagte er dann.

Egal, ob Kuba, Vietnam oder China, es war ein Teil seiner Suche nach Ansätzen, jenseits des Kapitalismus und jenseits des gescheiterten Sowjet-Sozialismus eine andere Gesellschaft aufzubauen. Michail Gorbatschow war für ihn kein Verräter, eher jemand, der zu spät gekommen war. Dafür rechnet er umso klarer und kompromissloser mit dem Stalinismus und seinen verheerenden Folgen für die kommunistische Bewegung ab. In dem Buch »Ketzer im Kommunismus« biografierte Theodor Bergmann so unterschiedliche Kommunisten wie Nikolai Bucharin und Leo Trotzki. Er wollte deutlich machen, dass es andere Wege als den Stalinismus gegeben hätte und dieser keinesfalls geschichtlich determiniert war.

Diese Einstellung und Haltung war ganz in der eigenen Lebensgeschichte angelegt. Der 1916 in einer jüdischen Familie geborene Theodor Bergmann schloss sich Anfang der dreißiger Jahre der von August Thalheimer und Heinrich Brandler gegründeten KPD-Opposition an (KPO). Diese wichtigste Strömung innerhalb der Kommunistischen Partei hatte früh die Gefahr des heraufziehenden Faschismus erkannt und die damals in der KPD vorherrschende Sozialfaschismustheorie kritisiert. Nach dieser Doktrin der KPD würde der Faschismus schnell wieder verschwinden. Die größere Gefahr wären die Sozialdemokraten, die in Wirklichkeit Sozialfaschisten wären. Die KPO forderte statt dessen die Herstellung einer Einheitsfront zwischen KPD und SPD gegen den heraufziehenden Faschismus. Außerdem kritisierte die KPO die Herausbildung eigener Gewerkschaften der KPD, der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Tatsächlich konnten die RGO-Gewerkschaften weniger Streiks auf die Beine stellen als die vermeintlich verräterischen ADGB-Gewerkschaften.

Diese strategisch falsche Politik der KPD war maßgeblich verursacht durch die stalinistische Vereinheitlichung und Unterordnung der kommunistischen Parteien unter die Komintern. Die KPO verzichtete weitgehend auf eine klare Bewertung des Stalinismus in der Sowjetunion, kritisierte aber immer, die Einmischung der KPdSU in die inneren Angelegenheiten der KPD und anderer kommunistischer Parteien sowie die Einschränkung innerparteilicher Demokratie und die Unterdrückung offener Diskussionen.

Theodor Bergmann musste 1933 wie viele seiner Genossinnen und Genossen emigrieren und landete nach vielen Stationen in Schweden im Exil. Er arbeitete in der Führung der Exil-KPO. Nach 1945 wurde die Gruppe Arbeiterpolitik die Nachfolgeorganisation der KPO und Theodor Bergmann Redakteur ihrer gleichnamigen Zeitschrift. Es ist mir nie so ganz klargeworden, warum er sich mit der Gruppe überwarf und gleichzeitig mit seinem Bruder Josef Bergmann, ein charismatischer Kommunist, der in Hamburg wirkte. Ein Grund war wohl die Palästina-Frage. Erst kurz vor dem Tod seines Bruders hatte er sich nach vielen, vielen Jahren wieder mit ihm getroffen.

Theodor studierte Agrarwissenschaften und wurde 1973 Professor an der Universität Stuttgart Hohenheim. In den neunziger Jahren trat er der PDS bei und wurde in Baden-Württemberg deren Landesvorsitzender. 2007 wurde er Mitglied der Partei Die Linke. Neben seinen vielen Publikationen und Studienreisen blieb er bis zu seinem Tod ein wachsamer und engagierter Zeitgenosse. Für die Politik der Gewerkschaften interessierte er sich sehr, besonders für die Bewegungen an der Basis. Für die Politik der Führungen hatte er wenig übrig. Wie der über 90jährige die vielen Streikversammlungen der jungen Verkäuferinnen bei H&M und andere beim öffentlichen Dienst besuchte und offensichtlich große Freude daran hatte, war schon bewundernswert. Erstaunlich, welche Faszination Theodor auf junge politisch interessierte Menschen ausübte. Seine ungebrochene Persönlichkeit und sein fast grenzenloser Optimismus strahlten aus. Es beeindruckte, wenn er sagte, er wäre immer noch Kommunist, wenn auch ein kritischer. Wenn große Niederlagen zu verkraften waren, sagte er: »Dann fangen wir eben wieder von vorne an.« Nicht unerwähnt darf bleiben, dass Theodor über viele Jahre hinweg Gretel, seine kranke Ehefrau und politische Weggefährtin aufopferungsvoll pflegte.

Ein aufrechter Mensch, ein kritischer Kommunist, ein guter Ratgeber und Freund ist am Montag im hohen Alter von 101 Jahren nach kurzer Krankheit gestorben. Es war ihm vergönnt, bis zum Ende seines Lebens geistig rege geblieben zu sein. Er hinterlässt 50 Bücher, zahlreiche weitere Veröffentlichungen und eine große Lücke. Wir werden Theodor Bergmann nicht vergessen. Fotos: KP Wittmann

Theodor Bergmann auf den Sozialismustagen 2016

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