Ein Jahr Waldbesetzung im Hambacher Forst


Der Tagebau Hambach, wie auch die Tagebauten Inden und Garzweiler, wurde in den 70ger Jahren des letzten Jahrhunderts von der Landesregierung NRW genehmigt. Das Kohleabbaufeld Hambach hat eine Größe von 8.500 Hektar. Das entspricht 85 km². Als Quadrat gedacht sind seine Seiten etwas länger als 9 km. Es liegt zwischen Niederzier, Jülich, Titz, Elsdorf, Buir und Arnoldsweiler. Dieses Loch, Europas größter Kohletagebau, ist gigantisch, nicht nur von seiner Fläche, sondern auch von seiner Tiefe. 450 m tief soll gegraben werden und nachdem alle Kohle herausgeholt sein wird, soll in dem Restloch ein riesiger See entstehen.

Um an die Kohle im Tagebau Hambach zu gelangen, muss der größte zusammenhängende Hainbuchen-Eichenwald Deutschlands vernichtet werden. 38.000 Hektar war er einst groß. Seine Restfläche beträgt aktuell 1.000 Hektar. Von seiner Struktur ist der Wald 1200 Jahre alt und die ältesten Bäume zählen mehr als 200 Jahre.

Der Hambacher Forst war und der Restwald ist Lebensraum für viele Tierarten. Europaweit sehr selten vorkommend lebt hier die Bechsteinfledermaus. Sie ist eine Besonderheit, weil sie als Lebensraum einen Altwald mit mindestens 120 Jahre Eichen benötigt.

Bisher mussten Steinstraß und Etzweiler dem Tagebau Hambach weichen. Die Menschen wurden umgesiedelt. Manheim mit 1.550 Menschen und Morschenich mit 550 Menschen folgen in den nächsten Jahren. 35.000 Menschen haben im Rheinischen Braunkohlerevier seit 1938, als die ersten Umsiedlungen begannen, ihre Dörfer verlassen müssen.

Seit mindestens 4 Jahrzehnten ist den Bürgern in den Orten bekannt: Unser Ort fällt dem Tagebau zum Opfer. Aber aus Sicht der Menschen sind 4 Jahrzehnte ein halbes Leben und das liegt in weit in der Zukunft. Hinzu kam: Rheinbraun war der größte Arbeitgeber im Kreis. Die meisten Schulabgänger begannen ihre Ausbildung bei Rheinbraun. Die Umsiedlung war der Preis für eine berufliche Sicherheit.

Die Umsiedlungen und der Verlust an Heimat wird Großteiles schicksalsergeben hingenommen. Wir können sowieso nichts dagegen machen, ist der Grundkonsens. Er basiert auf der generativen Erfahrung, dass das Bergrecht der Bevölkerung keinerlei Mitspracherechte einräumt. Das Bergrecht stammt von seinem Ursprung von 1865 aus preußischen Zeiten. Es galt den Energiebedarf der explosionsartig wachsenden Industrie zu sättigen. Die Menschen verloren das Recht an ihrem Boden und dem darauf befindlichem Eigentum. In der nationalsozialistischen Zeit und der Wiederaufrüstung der Wehrmacht wurden die Rechte der Grundbesitzer nochmals beschnitten. An diesen Prinzipien hat sich im Bundesbergbaugesetz von 1982 nichts geändert.

Bereits vor der Waldbesetzung haben Greenpeace und viele Bürgerinitiativen auf die massiven Klimaauswirkungen und Gesundheitsbelastungen durch den Abbau und die Verstromung der Braunkohle hingewiesen. 80 Mill. Tonnen Braunkohle werden pro Jahr in den Kohlekraftwerken verbrannt und dadurch 80 Mill. Tonnen CO² produziert. Die Kraftwerke im rheinischen Braunkohlerevier sind die größten Dreckschleudern Europas und durch Greenpeace ist die Aussage, „RWE ist Europas Klimakiller Nr. 1“, gerichtlich abgesichert. Diese Fakten werden durch RWE schöngeredet. Auch wird aktuell die Gesundheitsstudie von Greenpeace, „Tod aus dem Schlot“ von RWE als Instrument bezeichnet, mit dem Greenpeace ausschließlich Eigeninteressen verfolgt und die Menschen in Angst versetzen will. RWE hat ein primäres Interesse die Auswirkungen der CO² Immission, des Feinstaubes und auch der freigesetzten Radioaktivität nicht zu diskutieren.

Seit dem 14. April 2012 ist der Hambacher Forst besetzt, erst unmittelbar im Forst und nach der polizeilichen Räumung dieses Camps auf einer Wiese an der Grenze zum Hambacher Forst. Die Aktivisten kommen aus allen Teilen Deutschlands und inzwischen auch aus Europa. Ihr Ziel ist es, den Braunkohleabbau und deren Verstromung zu stoppen und auf die Auswirkungen des Kohleabbaus mit seiner Verstromung hinzuweisen. Keine Bürgerinitiative im Braunkohlerevier hat so viel Aufmerksamkeit erhalten wie die Waldbesetzer. Ihr Protest liegt auf der Handlungsebene und ist nicht zu übersehen. Mit ihrem Camp im Forst haben sie die Ausweitung des Tagebaus unmittelbar behindert und damit RWE unter Zugzwang gesetzt.

Unterstützt wurden die Aktivisten durch Bewohner der umliegenden Dörfer, durch Initiativen und durch bekannte öffentlich Gruppen und Personen, wie Klaus der Geiger oder das Orchester Lebenslaute. Die Unterstützung begann auf der existentiellen Ebene, wie der Versorgung mit Wasser, Lebensmittel, im Winter mit Brennmaterial, ärztlicher Betreuung usw. und viele kamen und halfen aktiv mit. Jeden Sonntagnachmittag waren Interessierte zum Kaffee und Kuchen eingeladen und konnten sich über die Ziele der Aktivisten informieren und wurden durch den Forst geführt. Zu Aktionstagen waren mehr als 100 Personen präsent.

Die Räumung des Camps im November 2012 erregte bundesweites Aufsehen. Über 600 Einsatzkräfte wurden aufgeboten, um 25 Aktivisten aus verschiedensten Situationen zu räumen, darunter einen Aktivisten aus einem Tunnel. Diese, von den Waldbesetzern gemeinsam geplante Aktion, sollte darauf hinweisen, dass man sich an die Wurzeln des Waldes begeben muss, um ihn zu schützen. Die Äußerungen des Pressesprechers der Polizei, der Tunnelbesetzer hätte Stützen umgetreten und damit Einsatzkräfte in Lebensgefahr gebracht, wurden zwar von der Grubenwehr gegenüber der Staatsanwaltschaft widerrufen, aber für die Öffentlichkeit war nun der Tunnelbesetzer ein „durchgeknallter“ Aktivist, der sich und andere in Gefahr brachte. Die Polizei erklärt ihre falsche Aussage mit dem Stille-Post-Effekt. Man darf sich aber auch fragen, inwieweit mit dieser falschen Aussage die öffentliche Meinung bewusst manipuliert wurde.

Der Wald ist zwar geräumt aber die Besetzung ist nicht vorbei. Nicht weit entfernt vom alten Camp leben sie seit November des letzten Jahres auf einer Wiese. Für die Besetzer war der lange Winter eine harte Zeit. Die anhaltende Kälte und die düsteren Tage haben sie häufig an ihre Grenzen geführt. Aber sie haben ausgehalten und allein dadurch deutlich gemacht, dass sie inzwischen ein sichtbares Zeichen des Widerstandes und ein Kristallisationspunkt der Auseinandersetzung sind.

Ein sicheres Domizil haben sie auch hier nicht, obwohl sich die Wiese im Privatbesitz befindet. Der Kreis Düren, der jetzt zuständig ist, versucht das neue Camp mit baurechtlichen Mittel zu verhindern. Wie auch immer der juristische Disput ausgeht, die Energiebewegung vernetzt sich lokal und global. Die Klimafrage wird zur sozialen Frage und die Proteste und Widerstandsformen nehmen zu. (Hubert Perschke)

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