Afghanistan: Rettungsbrücke sofort! – Bundesregierung nicht mehr tragbar

Diese Bundesregierung ist nicht mehr tragbar. Das Afghanistan-Desaster macht einmal mehr deutlich, dass man ihr keine Verantwortung für dieses Land mehr übertragen kann. Der „Einsatz“ hat in 20 Jahren 12 Milliarden Euro gekostet, bis auf wenige Veränderungen in den Städten so gut wie nichts gebracht, endete in einer NATO-Kapitulation mit verheerenden geopolitischen Folgen zugunsten von China und Russland und langfristig zum Nachteil von Indien. Und nun der unglaubliche Skandal zur Rettung der Ortskräfte, die den Einsatz unterstützt hatten und nun wie viele andere dort um ihr Leben bangen müssen. „…auch diejenigen, die im Weltbild der Taliban keinen Platz haben – zum Beispiel Akademiker oder Vertreterinnen der Zivilgesellschaft – wollen nicht bleiben“, schreibt der Deutschlandfunk am 30. Juni. Weiter hier!

 Vorrücken der Taliban lange bekannt

Bereits im Mai 2007 notierte der militärpolitische Berater der Deutschen Botschaft in Kabul: „Die ständige Forderung nach Truppenverstärkung, die steigenden Kosten des militärischen Engagements, das Anwachsen eigener Verluste und die wachsende Zahl ziviler Opfer verdeutlichen die Ungeeignetheit und Ausweglosigkeit der militärischen Gewalt als Lösung der inneren und äußeren gesellschaftlichen Probleme Afghanistans. (…) Es ist unerträglich, dass unsere Koalitionstruppen und ISAF inzwischen bewusst Teile der Zivilgesellschaft … bekämpfen. … Es gibt keine Entschuldigung für das durch unsere westlichen Militärs erzeugte Leid…“. Vermutlich sind bisher deutlich mehr als 180.000 Zivilisten ums Leben gekommen. Die Folgen waren absehbar. Deshalb hatte sich die Partei Die Linke bereits 2012 bei der Abstimmung im Bundestag gegen die Verlängerung des Afghanistan-Mandats gestellt.

Seit Jahren schon waren 70 Prozent des Landes, vor allem in ländlichen Gebieten, von den Taliban beherrscht, die ständig weiter vorrückten. Mitte letzten Jahres waren 12 von 14 Provinzen Taliban-Gebiet. Und jahrelang wurde die Bevölkerung von dieser Bundesregierung über angebliche Erfolge des Einsatzes belogen. 450 Millionen Entwicklungshilfe flossen jährlich in das Land, davon landeten größere Beträge in korrupten Händen und den Taschen von Warlords. Es ging auch um versprochene Hilfen, die nie ausgezahlt wurden.

Am Anfang eine Lüge

Die Bundesregierung hatte nun behauptet, auf den schnelle Vormarsch der Taliban nicht vorbereitet gewesen zu sein. Offenbar hatten sich Angela Merkel (CDU) und US-Präsident Joe Biden auf die Lesart verständigt, man hätte die Lage nicht richtig eingeschätzt, die Geheimdienste keine entsprechenden Hinweise geliefert. Zur Erinnerung: Angela Merkel ist Bundeskanzlerin und bestimmt die Richtlinien der Politik. Sie ist die erste Verantwortliche in diesem Skandal. Am 18. August 2021 berief sich die New York Times in einem Artikel auf eine Gefahreneinschätzung der US-amerikanischen Geheimdienste im Sommer diesen Jahres. Dort heißt es: „Geheime Einschätzungen amerikanischer Spionagebehörden zeichneten im Sommer ein zunehmend düsteres Bild von der Aussicht auf eine Übernahme Afghanistans durch die Taliban und warnten vor einem raschen Zusammenbruch des afghanischen Militärs, auch wenn Präsident Biden und seine Berater öffentlich sagten, dass dies wahrscheinlich nicht so schnell geschehen würde.“ Die deutschen Geheimdienste in Kooperation mit den US-Geheimdiensten haben also nichts gewusst, und wir ohne eigene Erkenntnisse? Der nächste Verantwortliche in diesem Skandal sind Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und das Auswärtige Amt.

Abschiebung statt Rettung

Anfang Juni orderte die Bundesregierung Flugzeuge zur Rettung von Menschen aus Afghanistan. Diese wurden nicht genutzt, weil man sich anders entschied. Die Kosten dafür zahlt nun der Steuerzahler. Am 23. Juni 2021 wurde – nach nur halbstündiger Aussprache – der Antrag der Gründen mit Unterstützung der Linken ein Gruppenverfahren zur „großzügigen Aufnahme afghanischer Ortskräfte einzuführen, die für deutsche Behörden und Organisationen arbeiten oder gearbeitet haben“ (19/9274 und Beschlussempfehlung 19/28962) im Bundestag vorgetragen. Da der Antrag von den Grünen stammte und von der Linken unterstützt wurde, hatte die Bundesregierung ihn aus parteipolitischen Gründen abgelehnt, und nicht aus sachlicher Notwendigkeit.

Der nächste Verantwortliche im Skandal ist Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Noch am 1. August bestand er auf der Abschiebung von Geflüchteten aus Afghanistan und wollte die „freiwillige Ausreise“ verstärken. Dazu kam, dass die Hürden für Asylbewerber aus Afghanistan der Lage völlig unangemessen hoch waren. Die Vorsitzende der Partei Die Linke, Janine Wissler, bereits am 9. Juli: „Es ist völlig unverständlich, warum die Ortskräfte, die aus Afghanistan raus wollen, nicht zusammen mit den Truppen nach Deutschland ausgeflogen wurden. Statt dessen nötig man sie dazu, für die Ausstellung der Reiseunterlagen hunderte Kilometer nach Kabul zu fahren und sich selbst um einen Flug und dessen Bezahlung zu kümmern. Das ist unverantwortlich.“ Doch nun kommen viele nicht mehr durch die kontrollierten Gebiete. Während der Evakuierung fürchtet der Leiter der Bundeswehr-Evakuierungsmission, Brigadegeneral Jens Arlt, eine Zuspitzung der Lage (Spiegel v. 19.08.). Es ist wahrscheinlich, dass das Land nun in einen Bürgerkrieg mündet, weil inzwischen Al-Qaida wieder Fuß fasst und sich die Mudjahedin zum bewaffneten Widerstand formieren. Alle haben nach bisherigen Erfahrungen die Hilflosigkeit der Flüchtlinge ausgenutzt und sie militärisch und erpresserisch instrumentalisiert. Das Chaos nimmt kein Ende. 

Mehr an Verantwortungslosigkeit geht kaum noch. Andere Regierungen hätten schon längst zurück treten müssen. Insofern ist die Forderung von Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Linken, nachzuvollziehen: die Bundesregierung solle insgesamt zurücktreten und bis zu den Wahlen nur noch geschäftsführend im Amt bleiben. Am 17. August fand zur dringenden Rettung aus Afghanistan in Berlin eine spontane Demonstration von mehr als 2.000 Menschen statt. (19.08.2021, Hans-Dieter Hey, Fotos: Rudi Denner)

Ergänzung 19.08.2021

Die Washington Post hat Zugang zu geheimen Hintergrundberichten bei Gericht erstritten – auf der Basis des „Freedom-of-Information“-Act. Die Auswertung zeigt einen massiven Unterschied zwischen den internen Papieren und den Regierungs-Erzählungen in der Öffentlichkeit. Das wollte die Bundesregierung alles nicht gewusst haben?

Hier der Originaltext auf „Democracy Now!“ in englischer Fassung.

Hier in deutscher Sprache

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