Alte und neue Probleme: Zeitungsniedergang in Ost und West

Die Printmedien befinden sich in einer deprimierenden Lage. Viele Menschen – vor allem junge – wollen für Zeitungen und Zeitschriften kein Geld mehr ausgeben und vertrauen dem Wahrheitsgehalt von Podcast, knapp gehaltener Info-Häppchen oder den Hinweisen bei Twitter und Facebook. Laut einer aktuellen Studie der Stiftung „Neue Verantwortung“ fehlt 46 Prozent der Getesteten jegliche Kompetenz, zwischen Werbung, Fakenews, Regenbogen-News und Verschwörungstheorien zu unterscheiden. Aber auch etablierte Medien im Internet will kaum jemand bezahlen. Das führte schon lange zu erheblichen Kostenproblemen und damit letztlich zu inhaltlichen Beeinträchtigungen bei Qualitätsmedien. Eine dramatische Entwicklung für die Demokratie. Hier geht’s weiter.

 Rettet den Qualitätsjournalismus!

Schon seit Jahrzehnten führt das zu Konzentrationsprozessen. In diesem Monat berichtet das medienpolitische Magazin „M“ der Gewerkschaft ver.di, wie eine gigantische „Verschmelzung“ von Gruner+Jahr und RTL stattfinden soll. Es solle so möglich werden, „dass die jüngst gebündelte News-Redaktion in Köln mit 700 Journalisten zu einem zentralen Inhalte-Hub aufbläht, der die Print,- Online- und TV-Marken beider Häuser aus einer Hand bedient“. Man kann die bunte Medieneinfalt erahnen, die das hervorbringt. Es bildeten sich Journalistenpools oder Recherchenetzwerke wie „correctiv“, auf die alle Journalisten zurückgreifen. Kaum eine Zeitung verfügt noch über die Möglichkeit, vernünftig zu recherchieren. Deswegen ähneln sich die Überschriften und Texte in den Zeitungen. Man schreibt voneinander ab, wo und wann welcher Sack Reis in der Welt umgefallen ist. Grundsätzliche gesellschaftliche, übergreifende Themen oder Randthemen, über die man debattieren müsste, kommen so gut wie nicht mehr vor. Die lokale Berichterstattung wird immer dürftiger. Der Niedergang ist eine demokratische Herausforderung und deshalb muss der Journalismus gerettet und wie jede Arbeit bezahlt werden – print oder digital. 

Feindliche Übernahme der DDR-Medien

Die Probleme liegen lange zurück, und wir müssen wieder hinkommen zu journalistischer Tiefe und Unterscheidbarkeit. Die Chance wäre schon vor 30 Jahren gegeben gewesen, hätte die sogenannte „Wiedervereinigung“ nicht auch zum Tod der meisten, vor allem lokal angebundenen ostdeutschen Zeitungen geführt. Die Chance wurde vertan. Damals waren viele ostdeutsche Journalisten in Aufbruchstimmung und in einem Selbstermächtigungsprozess, neues zu wagen. Und sie taten das auch. Doch die Medienrevolution war bald zu Ende. Auf die dramatische Entwicklung machte vor Kurzem die Otto-Brenner-Stiftung mit ihrer Studie „30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung“ aufmerksam.

Der Burda-Verlag, der Axel Springer-Verlag und andere Medienkonzerne machten sich über die DDR-Medien her. Schnell hatten West-Verlage mit ihrer finanziellen und publizistischen Macht den Zeitungsmarkt in der ehemaligen DDR mit ihren Bedingungen überrollt. Peter Tamm vom Axel Springer-Verlag 1990: „Bei unseren verlegerischen Aktivitäten hat der Medienmarkt der DDR oberste Priorität.“ Sofort wollte er die Beteiligung an der „Ostsee-Zeitung“ und am Ost-Berliner Sportverlag übernehmen. Und Springer wollte die ostdeutschen Journalisten „umerziehen“ und vom sozialistischen Menschenbild befreien. Die „Besserwessis“ übernahmen die Führung. Die meisten ehemaligen DDR-Journalisten und Redakteure flogen raus und wurden durch unerfahrenen „frischen“ Westimport ausgetauscht. Schlagartig fand eine Provinzialisierung und Boulevardisierung der Inhalte statt. „Super-Illu“ ließ grüßen. Begleitet wurde die feindliche Übernahme durch die CDU-Wahlkampf-Einmischung 1990 in der noch existierenden DDR, wobei das „Ministerium für Innerdeutsche Beziehungen“ 7,5 Millionen Mark in den DDR-Wahlkampf investierte – eine unzulässige und äußerst fragwürdige Unterstützung. Die sächsische SPD warf der CDU seinerzeit „mangelnde Staatsferne“ vor, denn ihr gehöre die DDR doch nicht. Keine Chance für ostdeutsche Medien, diesem Überfall etwas entgegen zu setzen.

Bis heute umstritten: Die Treuhandanstalt

„Die Treuhandanstalt betrieb den umstrittensten Zeitungsverkauf der deutschen Geschichte. Immerhin ging es um 30 ‚Filetstücke‘ der ostdeutschen Presse: 14 profitable Regionalzeitungen, wegen ihrer Rolle im SED-Staat zwar politisch diskreditiert, dafür aber mit hohen Auflagen von bis zu 660.000 Exemplaren“, so Prof. Beate Schneider in der genannten Studie. Parallel fand die „Kolonialisierung“ des Ostrundfunks statt, und der von DDR-Jugendlichen geliebte Sender „DT64“ wurde erst umbenannt und dann ins Ost-Nirvana geschickt.

Mit der feindlichen Übernahme bereicherten sich die westdeutschen Medien günstig am DDR-Vermögen. Mit der Übernahme der Printmedien, Rundfunk- und Fernsehanstalten der DDR und ihre im Anschluss erfolgte inhaltliche und faktische Beseitigung kamen sie nicht nur in Besitz der Immobilien und der gesamten technischen Ausstattung, sondern auch ohne einen Pfennig Werbungskosten im „Aufbau Ost“ schlagartig zu Millionen neuer Abonnentinnen, Hörerinnen bzw. Zuschauerinnen.

Mediale Spaltung bis heute und was man tun muss

Die Studie wirft den Medien daher vor, dass ihre West-Angebote wie aus einem fernen Land kommen und die ostdeutschen Milieus nicht entsprechend abbildet in ihren Besitzverhältnissen, soziale Fragen, der Ungleichheit und Ungerechtigkeiten. Und so profitiert von dieser Entwicklung leider auch die AfD und findet mit ihrem Argument, das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem sei politisch nicht unabhängig und die Medien seien gleichgeschaltet, fruchtbaren Boden. Ein politisches Desaster!

Es ist dringend an der Zeit, diese Missstände zu beenden und den ostdeutschen Medienmarkt zu beleben und zu unterstützen. Auch die EU könnte finanziell helfen, hatte sie für neue Zeitungen bereits Gelder zur Verfügung gestellt.

Beispiele für eine andere und niveauvolle Berichterstattung gibt es bereits, ob in den Tageszeitungen „Neues Deutschland“, der „Jungen Welt“, der „TAZ“ oder im „Freitag“.  Den gut gemachten Zeitschriften „Melodie und Rhythmus“ oder der Globalisierungs-Zeitschrift „Lunapark21“. Diese Medien brauchen die Unterstützung von Leserinnen und Lesern. Auf geht’s, ermächtigen wir uns zur Medienkompetenz! (24.03.2021, Hans-Dieter Hey)

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