„Gedenken heißt kämpfen!“

Münster. Am 20.02.2021 haben über 1.000 Menschen der Opfer des rechtsterroristischen Anschlags von Hanau vom 19.02.2020 gedacht. Menschen um das ODAK Kulturzentrum, die selbst Betroffene von rassifizierter Diskriminierung und Gewalt sind, haben die Kundgebung auf dem Münsteraner Schlossplatz organisiert.

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Wir dokumentieren im Folgenden den Redebeitrag des ODAK Kulturzentrums:

In Gedenken an:

  • Ferhat Unvaro
  • Gökhan Gültekin
  • Sedat Gürbüz
  • Said Nesar Hashemi
  • Mercedes Kierpacz
  • Hamza Kurtović
  • Vili Viorel Păun
  • Fatih Saraçoğlu
  • Kaloyan Velkov

Heute, ein Jahr nach dem rassistischen Attentat in Hanau, bei dem 9 Menschen kaltblütig ermordet wurden, müssen wir über die Tatsachen sprechen, welche auf offiziellen Gedenkveranstaltung totgeschwiegen werden! Wir müssen über die Mitschuld und das Versagen deutscher Sicherheitsbehörden und über das rassistische Verhalten von Polizist*innen vor, während und nach dem Attentat sprechen!

Der rassistische Mörder von Hanau besaß trotz rassistischer und verschwörungsideologischer Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft Hanau, mehrerer Strafverfahren gegen ihn und einer Zwangseinweisung in eine Psychiatrie zwei Waffenbesitzkarten. Im letzten Jahr ist die Zahl der den Behörden bekannten Rechtsextremisten mit Waffenerlaubnis um ca. 35 Prozent angestiegen. Ca. 1200 Rechtsextremisten besitzen in Deutschland legal Waffen. 1200. Das sind 1200 zu viel! Rassisten müssen entwaffnet werden!

Die Orte des Anschlags wurden von dem rassistischen Mörder bewusst ausgewählt. Insbesondere Shishabars als migrantisierte Orte werden durch rassistische Polizeirazzien als vermeintlich „gefährliche Orte“ kategorisiert, kriminalisiert und stigmatisiert. Deshalb wurde der Notausgang der „Arena Bar“  im Vorfeld von der Polizei für regelmäßige Razzien versperrt, sodass niemand während des Anschlags fliehen konnte.

Der rassistische Mörder schoss am ersten Tatort auf mehrere Menschen und tötete dabei drei von ihnen. Anschließend fuhr er mit seinem Wagen weiter und wurde von Vili Viorel Paun verfolgt. Vili Viorel Paun rief währenddessen mehrere Male bei der Polizei an und erreichte niemanden. Er wurde, als er den Täter am zweiten Tatort stellen wollte, in seinem Wagen erschossen. Der Täter erschoss daraufhin fünf weitere Menschen.

Wir fragen uns, was passiert wäre, wenn der Notausgang der Arena Bar nicht verschlossen gewesen wäre. Wir fragen uns, was passiert wäre, wenn Vili jemanden bei der Polizei erreicht hätte.

Der Bruder von Said Nesar Hashemi überlebte den Anschlag nur sehr knapp und erlitt mehrere Kugelschüsse, unter anderem eine am Hals. Auch er rief mehrere Male bei der Polizei an und erreicht sie nicht. Als die Polizist*innen irgendwann am Tatort ankamen, bat er sie um einem Rettungswagen, diese verlangten aber zuerst seinen Ausweis und verboten dem Rettungswagen ins Krankenhaus zu fahren, solange nichts geklärt sei. Während er mit lebensbedrohlichen Verletzungen draußen auf einer Liege darauf wartete, dass die Polizei den Rettungswagen freigab, wurde fälschlicherweise geglaubt, dass der Täter zurück sei. Die Rettungssanitäter*innen schoben ihn vor, versteckten sich hinter der Liege und nutzen ihn als Schutzschild.

Der Vater des rassistischen Mörders verlangt heute noch die Tatwaffen seines Sohnes zurück, er verlangt die Entsperrung der rassistischen Webseite seines Sohnes und dass alle Gedenkstätten an die Verstorbenen in Hanau abgebaut werden. Die Angehörigen der Verstorbenen wurden nicht über die rassistischen Pläne des Tätervaters informiert. Nicht er wurde von der Polizei überwacht und zur Rechenschaft gezogen, sondern die Angehörigen der Verstorbenen bekamen von der Polizei „Gefährderansprachen“ sie sollen sich von dem Vater fernhalten und keine Rache ausüben.

Die Liste des Versagens und Ignorierens ist zu lang, um sie hier komplett aufzuführen. Für uns rassifizierte Menschen ist es jedoch nichts neues. Die Geschehnisse in Hanau sind für uns lediglich die Bestätigung dafür, dass Hanau nicht der letzte Ort eines rassistischen Anschlags sein wird.

Wenn der Polizeinotruf nicht erreichbar ist, wenn Notausgänge polizeilich verschlossen werden, wenn Schwerverletzte als Schutzschild benutzt werden, wenn Schwerverletzen nicht erlaubt wird ins Krankenhaus zu fahren, wenn Spezialeinsatzkommandos Angehörigen der Verstorbenen in der Tatnacht Waffen an den Kopf halten: Dann wissen wir, dass der Staat Mittäter ist!

Für uns ist es die Bestätigung, dass wir diesem Staat nicht im geringsten vertrauen und er mit all seinen rassistischen Institutionen uns nicht vor dem nächsten rassistischen Anschlag schützen wird. Dieser Staat wird nie aus seiner Geschichte lernen und die wirklich notwendigen Konsequenzen ziehen!

Genau aus diesem Grund ist eine Selbstorganisierung wichtiger denn je. Und egal was kommen mag:

Wir werden unseren Blick nicht senken!

Sie werden es nicht schaffen uns auf die Knie zu zwingen!

Und wenn irgendwann doch der Tag kommen wird, an dem es uns trifft, dann werden wir erhobenen Hauptes gehen!

Zwei weitere Redebeiträgen kamen vom BIPoC-Referat beim AStA der Uni Münster und der umstrittenen Gruppe „Palästina antikolonial“. Letztere diffamierte in ihrem Redebeitrag die Kritik am Antisemitismus in der Palästina-Solidarität als antipalästinensischen Rassismus.

Zum Ende kamen per Audiowiedergabe die Angehörigen der Opfer zu Wort:

Die Audio-Datei wurde von NIKA NRW zusammengestellt.

Weiterführende Links:

Die Initiative 19. Februar aus Hanau hat das erschreckende staatliche Versagen in einem Videostatement dokumentiert:

Wir klagen an! Ein Jahr nach dem rassistischen Terroranschlag
Am 14. Februar legen die Angehörigen, Überlebenden und die Initiative 19. Februar die Ergebnisse ihrer Recherche offen und zeichnen die Kette des Versagens nach. Wir klagen an und klären auf! Wir fordern politische Konsequenzen!

Der Hessische Rundfunk hat eine Dokumentation über die Hinterbiebenen veröffentlicht:

Hanau – Eine Nacht und ihre Folgen
Dokumentation des hr-fernsehen
Der Mörder kam aus der Nachbarschaft: er erschoss neun junge Menschen aus rassistischen Motiven. Überlebende und Angehörige berichten, wie sie die Tatnacht und die Monate danach erlebt haben und wie sie sich gegen die Logik des Täters wehren, der sie zu Fremden in ihrer eigenen Heimat machen wollte. Seit jener Februarnacht kämpfen sie um das Andenken der Opfer und um die Aufklärung des Geschehenen…
https://www.ardmediathek.de/ard/video/doku-und-reportage/hanau-eine-nacht-und-ihre-folgen/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xMjY5MzE/

Wichtig zum Thema ist auch die Podiumsdiskussion von Enissa Amani zur deutschen Dominanzkultur und deren Rassismus:

Die beste Instanz presented by Enissa Amani
Teilnehmer*innen: Natasha A. Kelly, Nava Zarabian, Max Czollek, Gianni Jovanovic und Mohamed Amjahid.

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