Sozialismus in der DDR – Woran ist er gescheitert?

Dr. Thomas Kuczynski war prominenter Wirtschaftshistoriker in der DDR und ausgesprochener Marx-Kenner. Dabei war er ein Kritiker der „Realsozialismus“. Mit seinen profunden Kenntnissen und Erfahrungen beschrieb er am 24. September in der Alten Feuerwache in Köln, warum der staatsgetriebene „Realsozialismus“ mit seiner Zentralverwaltungswirtschaft in der DDR gescheitert ist. Weiter unten mehr!

 

„War das Staatseigentum der richtige Weg oder gibt es dazu Alternativen? Warum war die sozialistische Planwirtschaft der Steuerung durch Markt und Profitmaximierung unterlegen? Vor welchen Schwierigkeiten stand die DDR-Wirtschaft und welche Lösungsstrategien wurden gesucht?“ lauten die Fragen im Einladungstext der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW.

Zusammengefallen wie ein Kartenhaus

Nein, die DDR ist nicht „zusammengebrochen“, meint Kucynski. Das wäre zu hart. Sie ist ohne Widerstand in sich „zusammengefallen wie ein Kartenhaus“. Dies hätte nicht daran gelegen, dass sie ökonomisch so schlecht aufgestellt gewesen sei. Vielmehr hätten der Kalte Krieg, die ökonomische Blockade der DDR durch den Westen und der Rüstungswettlauf letztlich dazu geführt. Doch auch eigene Fehler in der Zentralverwaltungswirtschaft waren mitverantwortlich. Während es in den Anfangsjahren der DDR bis zu Beginn der Regierung Honecker noch gut lief, wurde die spätere Epoche durch einen DDR-Witz ausgedrückt. Was waren die schlimmsten Jahreszeiten in der DDR? Frühling, Sommer, Mittag, Herbst und Winter. Gemeint war Günter Mittag. Ab 1976 war er ZK-Sekretär der SED für Wirtschaftsfragen und für die Planung in der Zentralverwaltungswirtschaft der DDR verantwortlich. Während es in der Zeit vor Mittag noch einen regen Informationsaustausch aller ökonomischen Betriebe – auch von unten nach oben – gab, folgte mit Mittag das jähe Ende. Aber auch schon vorher waren Verstöße gegen den Plan als Verbrechen hart bestraft – sogar mit Gefängnis. Es wurde von oben nach unten „durchregiert“. Das bremste die Reagibilität der Ökonomie auf Veränderungen regelrecht aus – mit teils äußerst ungünstigem Einfluss auf die Entwicklung. 

Heute fehlt das Klassenbewusstsein der Werktätigen

Außerdem habe sich der Kapitalismus als äußerst anpassungsfähig gezeigt. Schließlich, so Kuczynski, habe er gut 600 Jahre für seine Entwicklung gebraucht während die sozialistische Idee erst gut 150 Jahre alt ist. Das müsse man mit beachten. Im 19. Jahrhundert gab es eine Arbeiterklasse, die sich für gesellschaftliche Fortschritte einsetzte. Schließlich setzte sie die Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung gegen starke Widerstände durch. Heute hätten viele kein Klassenbewusstsein mehr und seien von einer Arbeiterklasse weit entfernt. Bereits Marx hatte vorausgesagt, dass die Arbeiterklasse politisch herunterkomme. 

Marx hatte die ökologische Frage im Blick

Kuczynski bleibt aber nicht beim Scheitern der DDR stehen, sondern positioniert sich positiv weiter. Ihr Ende ist nicht das Ende sozialistischer Ideen, sondern kann ein Neuanfang in unserer „Postwachstumsgesellschaft“ und den ökologischen krisenhaften Herausforderungen sein – weg von kapitalistischer Profitorientierung. Gerade die ökologische Frage steht heute im Vordergrund und sei mit dem Kapitalismus nicht zu lösen. „Es wird zwar immer behauptet, die Ökologie spiele bei Marx keine Rolle. Das stimmt aber nicht. Zwar lag sein Schwerpunkt bei der Analyse von Kapital und Lohnarbeit. Aber auch wenn die Natur eine untergeordnete Rolle spielte, war Marx natürlich klar, dass ohne sie nichts geht“ äußerte Kuczynski in einem Greenpeace-Interview am 14. September 2018.

Die Marx-Engels-Werke geben in Band 20 einen Hinweis: „Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand der außer der Natur steht – sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und dass unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen anderen Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden können.“

Die gegenwärtige Konterrevolution gefährdet uns

Gegenwärtig taucht ein weiteres Problem auf, das die tatsächlichen Probleme von Umwelt, Rassismus und steigender Armut völlig ignoriert. „Diejenigen, die Trump und Le Pen wählen, AfD und Forza Italia, sind so ziemlich das Gegenteil dessen, was Marx sich erhoffte. Sie sind nicht die Revolution, sondern die Konterrevolution. Ich halte zwar die Demokratie, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung, nicht für das Gelbe vom Ei, aber der Kampf, der heute gegen diese Demokratie geführt wird, und zwar von rechts, ist gefährlich. Es geht gegen ‚die da oben‘, gegen ein Establishment, das angeblich an allem schuld ist. Gut, dass die Waffe nur der Stimmzettel ist und noch nicht das Sturmgewehr“ äußerte sich Kuczynski besorgt in einem Zeit-Interview am 18. April 2018. Thomas Kuczynski hat deshalb nicht aufgegeben, dass man die Welt für die Menschen besser gestalten kann, und „wenn es ohne Revolution ginge, wäre das ja schön. Mal sehen, wie’s wird.“ Das Scheitern des Realsozialismus sieht er als Lernprojekt für einen Neuanfang. Sein Buch „Das Kapital“ Band 1 hat Kuczynski im Hamburger Museum für Arbeit in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung in einem amüsanten Gespräch vorgestellt, das man hier nachhören kann. (24.09.2019, Hans-Dieter Hey)

Karl Marx
Das Kapital
Kritik der politischen Ökonomie | Erster Band
Buch I: Der Produktionsprozess des Kapitals
Verlag VSA, Hamburg
Neue Textausgabe, bearbeitet und herausgegeben von Thomas Kuczynski
800 Seiten | Hardcover mit USB-Card | 2017 | EUR 19.80
ISBN 978-3-89965-777-7

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Am Rande der Ausstellung hat R-mediabase mit einer kleinen Ausstellung zur DDR-Geschichte des Dorfes Altengottern in Thüringen unterstützt.

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