Westfleisch: Ein krankes System

Münster. Am 14. Mai 2020 fanden sich circa 20 Aktivist*innen aus der Tierrechtsbewegung vor der Verwaltungszentrale in Münster von Westfleisch zusammen.

Anlass waren die Zustände in der Betriebsstätte in Coesfeld von Westfleisch, die zu diesem Zeitpunkt durch die Medien gehen. 249 Mitarbeiter von Westfleisch in Coesfeld sind infiziert. Als Folge für die gut 200.000 Menschen im ganzen Landkreis Coesfeld wurden die aktuellen Pandemie-Einschränkungen um eine weitere Woche lang.

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Dass dort so viele Mitarbeiter*innen infiziert wurden (und weitere in Oer-Erkenschwick), ist für Beobachter*innen kein Wunder. Schließlich leben die ost- und südosteuropäischen Arbeitsmigrant*innen in engen Sammelunterkünften, werden in Kleinbussen zur Arbeitsstätte und zurück gekarrt und haben elende Arbeitsbedingungen. WESTPOL dazu: „Wir sind bei unseren Recherchen auf erschreckende Zustände gestoßen, die vermuten lassen, die Zahlen werden noch weiter steigen“. Westfleisch wiegelt ab und weist jegliche Verantwortung von sich: Schließlich würden die ausländischen Beschäftigten von Subunternehmern untergebracht. Für eine Aktivistin der Aktionsgruppe sind sie deshalb auch als „Zwangsarbeiter*innen“ zu bezeichnen. Und arbeitsunrecht.de bilanziert: „Die Infektionsgefahr durch COVID-19 macht beunruhigende Zustände rund um deutsche Schlachthöfe wie durch ein Brennglas sichtbar. Wir gehen nach eingehenden Recherchen von einem kriminogenen System aus, das auf Schein-Werkverträgen und Mietwucher beruht. Es führt zu erhöhtem Infektionsrisiko von Wanderarbeitern aus Osteuropa.“

Trotz der erschreckend hohen Corona-Fälle drang Westfleisch vor Gericht auch noch darauf, dass die Schließung des Betriebes zurückgenommen werde. Das Gericht lehnte ab: Der Betrieb sei „zu einer erheblichen epidemiologischen Gefahrenquelle nicht nur für die eigene Belegschaft geworden.“

Der DGB Münster fordert deshalb auch bessere Arbeitsbedingungen für Erntehelfer*innen und Beschäftigte in der Fleischindustrie: „Arbeitsgruppen mit bis zu 45 Personen, Unterbringung in voll ausgelasteten Mehrbettzimmern, Mund-Nasen-Masken meist Fehlanzeige – einen Toten gibt es schon. Jetzt muss Schluss sein mit dem verantwortungslosen Umgang mit ausländischen Erntehelfer*innen und Beschäftigten in der Fleischindustrie. Arbeits- und Landwirtschaftsministerium stehen in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten unter sicheren Bedingungen nach Deutschland einreisen, hier eingesetzt und untergebracht werden. Diese Verantwortung kann nicht alleine den Arbeitgebern überlassen sein. Es braucht dringend konkrete und verbindliche Vorgaben zum Infektionsschutz, die auch flächendeckend kontrolliert werden“, so der DGB-Stadtverbandsvorsitzende Peter Mai.

Und die Tierrechtsaktivist*innen vom Tierrechtstreff Münster und Münster for Liberation, die vor der Westfleisch-Zentrale in Münster demonstrierten, schlossen sich dem an. Ihr Protest geht aber natürlich weiter: Nicht nur die miserablen Arbeitsbedingungen für die Angestellten von Westfleisch, sondern auch die Billigproduktion und die Missachtung des Tierwohles stehen aus Sicht der Aktivist*innen in der Kritik: „Wir fordern: Westfleisch soll geschlossen bleiben. Ein Schlachthaus ist nicht systemrelevant. In einer gesunden Zukunft ist kein Platz für Schlachthäuser. Um zukünftige Pandemien zu verhindern, müssen wir die Intensivtierhaltung beenden. Schlachthäuser und Ställe sind Brutstätten für Viren und Keime.“ Und sie ergänzen: „Niemand, der keinen anderen Ausweg sieht, würde freiwillig im Schlachthaus arbeiten. Nur jemand, der wohlmöglich unter falschen Versprechungen gelockt wurde, unterdrückt und ausgebeutet wird, würde bei Westfleisch, Tönnies oder Vion arbeiten. Zusammengepfercht in engen, überfüllten, Behausungen, deren Miete vom Lohn nichts mehr überlässt, um mal einen Gedanken ans Ausbrechen zu wagen. Im Schlachthaus werden nicht nur nicht-menschliche Tiere gequält, sondern auch Menschen. Abgeschottet von der Außenwelt, durch räumliche und sprachliche Barrieren, haben sie keine Möglichkeit um nach Hilfe zu fragen. Undenkbar, wenn die Öffentlichkeit von dem Leiden der rumänischen Zwangsarbeiter*innen erfahren würde.“

Und sogar die Westfälischen Nachrichten empören sich: „Einer Firmenleitung darf es moralisch und wohl auch juristisch nicht gestattet sein, Verantwortung für gefährliche und hygienisch unhaltbare Zustände in den Betrieben oder bei der Unterbringung der Mitarbeiter mit Verweis auf Subunternehmer wegzudelegieren. Auch der Verweis auf enge Margen im Handel oder das niedrigere Preisniveau gerade bei Fleisch darf für die gesamte Branche kein Argument sein, die Aufsichtspflicht zu verletzen. Dies gilt im Regel- und Normalbetrieb – aber umso klarer sollte allen diese Pflicht in Zeiten einer Pandemie sein.“

Update 26.05.2020:

Auch der Kreisvorsitzender des DGB Coesfeld Ortwin Bickhove-Swiderski kritisiert die mangelnden Kontrollen und das verzögerte Vorgehen der Verwaltung gegenüber Westfleisch scharf: „Zusammenfassend darf ich für den DGB Kreisverband Coesfeld feststellen, dass wir ein völlig anderes Verwaltungshandeln des Landrates des Kreises Coesfeld erwartet hätten und keine Zeitverzögerung von fünf Tagen, um dann einen Bescheid auszustellen. In diesen fünf Tagen ist die Infektionsrate exorbitant nach oben geschnellt“.

Zum Weiterlesen:

Zustände in der Fleischindustrie: Werkverträge oder illegale Arbeitnehmerüberlassung?
Verdacht auf Schein-Werkverträge + Mietwucher: Was unternehmen Staatsanwaltschaften, Hauptzollamt und Arbeitsministerien?
https://arbeitsunrecht.de/zustaende-in-der-fleischindustrie-werkvertraege-oder-illegale-arbeitnehmerueberlassung/

Beschäftigte bei Westfleisch: Pfarrer Kossen: „Keiner fühlt sich für Arbeiter zuständig“
Coesfeld – Schon seit Wochen warnt der Lengericher Pfarrer Peter Kossen vor massenweisen Corona-Infizierungen bei osteuropäischen Arbeitsmigranten. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.
https://www.wn.de/Muensterland/4199523-Beschaeftigte-bei-Westfleisch-Pfarrer-Kossen-Keiner-fuehlt-sich-fuer-Arbeiter-zustaendig

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