Walter Benjamin: Von Rechtsextremen in Frankreich gekapert

Nach einem Brief von Anfang Juli diesen Jahres erfüllt es die Enkel von Walter Benjamin, Enkel Mona und Kim aus London, mit Schrecken, dass „der Name unseres Großvaters benutzt wird, um die Ideale und Ideen der extremen Rechten zu fördern.“ Weiter hier!

 Denn vor kurzem hat sich in der Stadt Perpignan, Südfrankreich, unglaubliches ereignet und die europäische Kulturlandschaft erschüttert. Viele halten es für einen Affront der französischen extremen Rechten, den großen linken Denker und Philosophen, Kulturkritiker und Schriftsteller Walter Benjamin für rechte Zwecke zu missbrauchen. Benjamin hielt sich in Perpignan auf seiner Flucht vor den Nazis auf, bevor er – zu Tode gehetzt – 1944 ins spanische Portbou floh und durch Suizid starb.

In Verruf hat sich der rechtsextreme Bürgermeister Louis Aliot und frühere Lebensgefährte von Marine Le Pen gebracht, weil ausgerechnet er das Kulturzentrum „Walter Benjamin“ wiedereröffnen will. Seit dem hagelt es Proteste.

Anschläge auf linke Kultur

Die Aktion ist die Spitze einer ganzen ganze Serie von kulturellen Anschlägen seit vielen Jahren in Europa, in dem linke Ästhetik, Kultur, politische Aktionsformen und historisches Gedenken von rechts gekapert werden. Das hat Tradition, denn schon die Nazis hatten das Kampflied der Arbeiterbewegung zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht umgedichtet.

Der Grund liegt auf der Hand: Die Rechte hat keine eigene Kulturentwicklung, außer die in der Geschichte in ihrer Bösartigkeit folgenreichste. Da gibt es nichts, was vorzuzeigen Wert wäre. Die Rechte muss sich ent-dämonisieren und braucht daher immer neue Narrative der Manipulation, um kulturelle Hegemonie zu erobern. Doch es dürfte ihr schwerfallen, „diesen rechtsradikalen, antisemitischen, fremdenfeindlichen Mief loszuwerden“ (so der Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte am 5.7. Im Deutschlandfunk).

Das Kapern des Namens von Walter Benjamin ist ein unerträglicher „Affront gegen die Geschichte unserer Familie und gegen die kollektive Geschichte all jener, die für eine bessere Welt, für Fairness und für die Rechte aller gekämpft haben und weiterhin kämpfen“, so Mona und Kim Benjamin. Sie suchen Menschen und Kulturschaffende, die Widerstand gegen das Vorhaben in Perpignan unterstützen.

Wenn Kulturzwerge lange Schatten werfen

Es geht um nicht weniger, als die Kultur vor der rechten Vereinnahmung zu schützen. In einem Zitat heißt es: „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten.“ So sollte in Deutschland ein Aufruf der Entrüstung gestartet werden, um den Kulturzwerg mit den langen Schatten bis nach Deutschland, Louis Aliot aus Perpignan, zurückzuweisen. „Wir können nicht zulassen, dass das Gedächtnis an Walter Benjamin nachträglich instrumentalisiert wird, um rechte Politik zu legitimieren…das kommt einer neuen Schändung und Verfolgung seiner Person gleich“, so Jeanine Meerapfel am 3. August. Sie ist Präsidentin der Akademie der Künste in Berlin.

Auch die „Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten“ ist empört und unterstützt „den Appell französischer Intellektueller, die sich in der Tageszeitung „Le Monde“ in einem offenen Brief gegen die Pläne von Louis Aliot und dem RN positioniert haben.“ Der Vorstand von R-mediabase schließt sich den Protesten an und erinnert an den Liedermacher Hannes Wader. Er hatte sich einst beschwert, dass seine Lieder von Rechten gesungen und in das Gegenteil ihres Geistes verkehrt wurden. Er forderte in seinem Lied „Stellungnahme“:

„Nein! Seiner Feinde muss man sich erwehren
Und sich klar entscheiden, auf welcher von beiden
Seiten – für alle Welt sichtbar – man steht.“

(28.08.2020, Hans-Dieter Hey)

Der Protest der Akademie der Künste hier!

Auch hier:

Hans-Mayer-Gesellschaft

Junge Welt

Frankfurter Rundschau

Gewerkschaft Verdi

Eine Rede von Prof. Dr. Christian Leumann zu Benjamins Leben von 27.06.2019

 

Deutungsmacht: Wem gehört Geschichte?

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