Variablen setzten Beginn
Am 26. April ab 18:30 Uhr findet hier die Veröffentlichung einer Diskussion mit dem Ausnahmeökonomen Thomas Piketty statt, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert wurde. Piketty sollte zur Frage der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche Stellung beziehen und Lösungsvorschläge machen. Eine kürzlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung durchgerechnete Vermögensabgabe zugrunde gelegt, haben die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE. und die Rosa Luxemburg Stiftung einen Impuls für die Verringerung der Vermögenskonzentration vorgelegt.
Thomas Piketty (Paris School of Economics), der Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD) und Fabio De Masi (DIE LINKE) sprechen über machbare europäische Ansätze, um die Ungleichheit auch auf europäischer Ebene zu bekämpfen. Die Debatte ist überfällig. Weiter hier!
Aus urheberrechtlichen Gründen kann die Veranstaltung nur in englischer Sprache veröffentlicht werden.
Pikettys Beweisführung liegt nicht nur im weltweiten Zahlenmaterial, das er mit einer Gruppe von Ökonomen im „World Inequality“ der École d’Économie de Paris zusammengetragen hat. Er kritisiert die bisherige Sicht grundsätzlich als ökonomische Engführung. Wirtschaft sei immer sozio-kulturell bestimmt.
Auch der Kapitalismus mit seinen Ungleichheiten sei nicht natürlich gegeben, sondern wird politisch durchgesetzt durch Personen, denen Macht übertragen wurde oder durch anderen Einfluss. „Diese Regeln entscheiden darüber, wie groß der Kuchen wird und wer wie viel von ihm abbekommt, also wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern gehört“, sagt Sahra Wagenknecht von der Partei DIE LINKE.
Ungleichheit muss gerechtfertigt werden
Doch „Jede menschliche Gesellschaft muss ihre Ungleichheiten rechtfertigen.” In seinem Buch „Kapital und Ideologie“ von 2020 beschreibt er, wie unser „Hyperkapitalismus“ mit seiner „Heiligsprechung“ Produktivität, Zusammenhalt und Fortschritt einer Gesellschaft behindere. Inzwischen gefährde unsere Form des Wirtschaftens die Demokratie, weil wirtschaftlicher Neoliberalismus politischen Nationalismus provoziert.
Angesichts einer Globalisierung, zu deren Verlierern vor allem die untere Mittelschicht der entwickelten Länder gehört, sollten wir uns fragen, „ob wir an dieser Form der Märkte festhalten wollen“. Märkte, die allerdings nur ein Mythos kapitalistischer Erzählung sind.
Und es ist kein Wunder, „wenn nach vier Jahrzehnten von Privatisierungen einst staatlicher Bereiche die Frage von Schutz heute als politisches Problem im Vordergrund der Debatten steht“, so Piketty.
Nichts Neues: Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer
Wohlstand – so Piketty – könne nicht durch normale Arbeit erzeugt werden. Die Ungleichheit zu großen Vermögen habe heute ungeahnte Dimensionen angenommen, die durch die ökonomischen Eliten und den ausufernden Lobbyismusdruck in der Gesellschaft befördert werden. Unser ungerechtes Steuersystem ist der beste Beweis dafür. „Zu den offenkundigsten Widersprüchen des heutigen Systems zählt, dass der freie Güter- und Warenverkehr auf eine Weise geordnet ist, die es den Staaten erheblich erschwert, ihre Steuerpolitik und Sozialpolitik selbst zu bestimmen.“
In der Coronakrise hat sich die Situation noch verschärft. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2021 („Lebenslagen in Deutschland“) weist aus, das bis August 2020 ca. 15,5 Millionen Haushalte Einkommenseinbußen hinnehmen mussten, vor allem die „Gering- und Normalverdiener“. 30 Prozent der Haushalte können ihre normalen Ausgaben nicht mehr decken und haben keine finanziellen Spielräume mehr oder müssen sich verschulden. Auf der anderen Seite stieg in der Coronakrise das Vermögen der Reichen um 35 Mrd. Dollar.
Nach Piketty müssten die Steuersysteme dringend geändert werden. Dann müsste Jeff Bezos „im ersten Jahr 100 Milliarden Dollar Steuern zahlen“, schreibt der konservative Tagesspiegel am 20. März 2020. Wie furchtbar, wo er doch nur 160 Milliarden Vermögen besitzt – verdient mit nachhaltiger Steuervermeidung. Piketty verweist „auf bemerkenswerte Kontinuitäten bei der Rechtfertigung leistungsloser Einkommen, die in der Regel die Oberschicht bezieht“ bestätigt Sahra Wagenknecht in ihrer Rezension, während der Arbeitnehmer „seine eigene Haut zu Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten hat als die – Gerberei“, weil „das Kapital einen Horror vor Abwesenheit von Profit“ hat. (Karl Marx.) Ein Leben, dass die Kinks 1969 mit ihrem Song „Dead End Street“ besingen: „Kein Geld, das reinkommt…Wir sind absolut zweite Wahl“.
Viel Feind, viel Ehr’
Seit seinen Veröffentlichungen hat Piketty in zwei Jahren viel Kritik mit teils verwirrender Argumentation auf sich geladen – vor allem von Vertretern des kapitalistischen Systems. Es wird der Versuch gestartet, das mühselig zusammengetragenen Material zu entwerten. Das war zu erwarten, denn man fühlt sich von FAZ über Focus bis zu Welt und Wirtschaftswoche und anderer überflüssiger Wirtschaftsorakel erwischt, kann das Problem aber nicht mehr leugnen. Alle möglichen Wirtschaftswissenschaftler werden ins Feld geführt, in der Regel Vertreter genau dieses Ungleichheitssystems, dass Piketty angreift. Ganz vorn auch die Konrad-Adenauer-Stiftung, die viel Wind verteilt und dies als ernstzunehmende Kritik begreift, aber nichts Wesentliches beizutragen hat. Die Stiftung greift sogar den renommierten C.H.Beck-Verlag für den Druck an – es Lebe die Meinungsfreiheit. Es passt eben nicht ins bevorzugte Weltbild der Kritiker, denn es geht dabei um ihr Eingemachtes.
Wenig Problemverständnis der Massen
Irritierend ist allerdings, „dass sich Menschen in Ländern mit höherer ökonomischer und sozialer Ungleichheit deutlich weniger Sorgen um die Ungleichheit machen als in Ländern, in denen die ökonomische und soziale Ungleichheit geringer ist“ steht im „Freitag“ vom 27. September 2019. Vielleicht, weil sich Menschen gern selbst als Donald Duck in solche Finanzsphären hineinverträumen.
Ungleichbehandlungen sind im Grunde ein Thema der Linken, die sich bisher – Piketty zufolge – nicht genügend um Vorschläge gekümmert haben. Das linke Klientel habe sich in den letzten Jahren zudem verändert. Piketty spricht von einer „brahmanischen Linken“, die sich von den Interessen der Beschäftigten entfernt habe. Vor allem die Sozialdemokratie hinterfrage das kapitalistische Wirtschaftssystem und die Auswirkungen der Globalisierung nicht mehr.
Trotzdem zuversichtlich
Piketty macht auch Hoffnung: „Die ganze Geschichte der Ungleichheitsregime beweist, dass es vor allem soziale oder politische Mobilisierungen und konkret unternommene Versuche sind, die historische Veränderungen möglich machen.“
Er fordert Veränderungen der Unternehmensstrukturen, wodurch Beschäftigte mehr Macht bekommen sollen und eine deutliche Umverteilung von Einkommen und Vermögen durch eine radikale Steuerreform mit einer progressiven Vermögens-, Erbschafts- und Einkommenssteuer. Milliardenvermögen sollen hoch besteuert werden von einem Steuersatz bis zu 90 Prozent, wie dies nach dem II. Weltkrieg üblich war. Piketty fordert eine weitgehende Reform der Europäischen Union, hin zu einem transnationalen Föderalismus, denn „unsere Gesellschaft braucht keine Milliardäre“.
Piketty fordert nicht mehr und nicht weniger als einen „partizipativen Sozialismus“ mit Mitbestimmung und Teilhabechancen für alle. Im Wahljahr 2021 haben die Wählerinnen und Wähler die Chance, sich für mehr Teilhabe zu entscheiden. (26.04.2021, Hans-Dieter Hey)
Ein Interview zur Vermögensabgabe mit Fabio di Masie hier!
Die Studie zur Vermögensabgabe ist hier zu finden!
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Kapital und Ideologie
Thomas Pickety
C.H.Beck; 1. Edition (11. März 2020)
Gebundene Ausgabe : 1312 Seiten
ISBN-10 : 3406745717
ISBN-13 : 978-3406745713
39,95 Euro
7 Gedanken zu „Vermögen, Ungleichheit und Lösungsvorschläge“
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