„Überall Polizei – nirgendwo Gerechtigkeit!“

Münster. Am 26. Juni 2021 eskalierte eine linke Demo in Düsseldorf – also nicht von Seiten der Demonstrant*innen, sondern von der Polizei. Die Demo selbst war friedlich: Nur vereinzelt gab es ein paar Rauchtöpfe – nur eine Ordnungswidrigkeit. Dadurch, dass der Antifa-Block die Transparente auf Kopfhöhe trug, schließlich filmte die Polizei illegal die Demonstration, meinte die Polizei am Ende den Antifa-Block auflösen und die Teilnehmer*innen kesseln zu müssen. Vorher war sie brutal in die Demonstration mit Pfefferspray und Schlagstöcken reingegrätscht, hat die Teilnehmer*innen verletzt und Transparente zerstörst (auch von anderen Demoblöcken). Inzwischen wurden auch mehrere Anzeigen gegen die Polizei wegen mutmaßlicher illegaler Auflösung und Kesselung eines Teils der Demo gestellt. Das Vorgehen wird ein Nachspiel im Landtag haben. SPD und Grüne fordern, dass der Gesetzentwurf der Landesregierung zum Versammlungsgesetz NRW, gegen den sich die Demonstration richtete, zurückgezogen wird. Teile der FDP distanzieren sich ebenso vom neuen Versammlungsgesetz, obwohl sie als Teil der Landesregierung den Gesetzentwurf erst selbst in den Landtag eingebracht haben. Das Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ fordert inzwischen nicht nur, den Gesetzentwurf zurückzuziehen, sondern auch den Rücktritt von NRW-Innenminister Herbert Reul.

Aus diesem Grund hatte der Tierrechtstreff Münster eine kurzfristig anberaumte Solidaritätskundgebung für den 29. Juni 2021 an der Polizeiwache in der Innenstadt Münster in der Julius-Voos-Gasse angemeldet. Gekommen waren 100 Demonstrationsteilnehmer*innen. Es gab ein offenes Mikrofon.

„Empfangen wurden die Kundgebungsteilnehmenden von einem großen Aufgebot an Polizei. Die Reihe der parkenden Einsatzfahrzeuge, Absperrgitter und Einsatzkräften war, wie passend: unverhältnismäßig“, kritisiert der Tierrechtstreff Münster im Nachgang auch das Vorgehen der Polizei in Münster.

Die Veranstaltung selbst war eine Mischung aus Tatsachenberichten von Menschen, die den repressiven Demonstrationstag in Düsseldorf erlebt haben, Kritik am geplanten Versammlungsgesetz NRW und welche Konsequenzen das für die Grundrechte jedes Einzelnen haben werde, sollte das Gesetz in dieser Form verabschiedet werden.

Unter anderem gab es Redebeiträge von der Gruppe SofA (Sofortiger Atomausstieg Münster), XR Münster und ein Grußwort der Schwarz-Roten Hilfe Münster.

Kevin vom Tierrechtstreff führte in die Kundgebung ein und ging auch sofort in medias res: „Ich würde das ‚Polizeiproblem‘ als kein Problem bezeichnen, das die Polizei hat. Ich denke wir sind in einem Zustand, die Polizei ist selbst das Problem. […] Wir erleben das im Grunde jeden Tag und andere Leute, die weniger privilegiert sind als wir, die jetzt hier stehen, erleben das noch viel intensiver. Im Kern ist die Polizei eine freiheits- und menschenverachtende, rassistische, gewalttätige und eben nicht reformierbare Institution, für die es dringend eine verantwortungsvolle Alternative braucht“. Er sieht die Polizei als eine Institution, die das Gute Leben für wenige durchsetzen würde, auf kosten der vielen! Es würde in ihm brodeln. Er wolle nicht mehr verprügelt werden, er habe „kein Bock“ mehr, dass die Polizei ihm seine Grundrechte vorenthalten würde und er wolle nicht mehr der „Willkür“ der Menschen ausgesetzt zu werden, „die keine eigenen Entscheidungen mehr treffen“!

Ein Teilnehmer, der selbst in Düsseldorf an der Demonstration teilgenommen hatte und später im Kessel gelandet war, berichtete am offenen Mikrofon: Er wolle hervorheben, dass er positiv überrascht war, dass in Düsseldorf so viele Menschen [es wurden 8.000 Demo-Teilnehmer*innen gemeldet] anwesend waren. Er war auch positiv überrascht, dass die Polizei, wie sie angekündigt habe, die Demo nicht filmen werde und deeskalierend arbeiten würde. Bald wurde er aber vom Gegenteil überzeugt: Es habe zwar vereinzelte Rauchtöpfe gegeben und die Antifa habe die Transparente über den Köpfen gehalten, es habe aber keine Gewalt aus dem Antifa-Block gegeben. Trotzdem sei die Polizei gewalttätig gegen den Block vorgegangen und habe den Teil gekesselt. Trotz Ankündigung der Polizei habe er den Kessel nicht verlassen dürfen – trotz einer Armprothese. Sein Fazit: „Das ist ein Verhalten, das ich bisher nur in Bananenrepubliken kennengelernt habe. Ich bin entsetzt. Das war einer der härtesten Polizeieinsätze, den ich bisher erlebt habe. Und ich bin seit 1976 politisch aktiv. Darüber steht eigentlich nur Brokdorf. Und mir ist klargeworden, auf was wir uns langfristig einstellen müssen! Die Klassenauseinandersetzungen in der BRD werden härter. Und die Polizei handelt immer mehr unter dem Motto ‚Legal, illegal, scheißegal‘!“

In der verlesenen Solidaritätserklärung machte die Schwarz-Rote Hilfe Münster deutlich: „8.000 Menschen sind letzten Samstag in Düsseldorf gegen das geplante Versammlungsgesetz NRW auf die Straße gegangen. Gegen ein Gesetz, welches sich einreiht in das immer stärker werdende Aufrüsten des Polizeiapparates, Gesetzesverschärfungen und Kriminalisierung von linken und emanzipatorischen Protestbewegungen. Diese Demonstration wurde von der Polizei unter fadenscheinigen Gründen massiv angegriffen. Über einhundert verletzte Demonstrant*innen, ein sechsstündiger Kessel, in denen die Leute weder Wasser noch Toiletten hatten und eine ganze Reihe von Ermittlungsverfahren waren die Folge. Der Tag war aber auch ein starker Akt der Solidarität. Das besonnene aber entschlossene Vorgehen der gesamten Demonstration und die Solidarisierung unter den verschiedenen Demoblöcken haben die Angriffe der Polizei weitestgehend ins Leere laufen lassen und das Ziel der Polizei, die Demonstration zu zerschlagen, verhindert“. Anschließend setzte sich die Schwarz-Rote Hilfe Münster in ihrem Statement gegen die herrschende Gewalt und eine „befreite Gesellschaft“ ein.

Ein Vertreter der Gruppe „Sofa“ war in seinem Redebeitrag beindruckt von dem, was die Polizei in Münster an Menschen und Material aufgebracht habe: „Das ist schlechtes Gewissen!“ Aus seiner Sicht sei von den Behörden nicht geplant gewesen, dass die Demo in Düsseldorf bis zum Landtag kommen würde: „Das war ein abgekartetes politische Spiel“ Man sei mit der Demo über die Rheinbrücke gekommen und da habe sofort eine Beweissicherungseinheit gestanden: Da war „klar, die werden dazwischen gehen. Und das haben sie auch getan! […] Wahrscheinlich hatte Herr Reul noch eine Rechnung offen mit dem Hambacher Wald! Denn da haben wir gesiegt!“ Und er ist froh, dass das Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ den Rücktritt von Innenminister Reul fordert. Er kündigte an, dass die Gruppe Sofa gegen das illegale Vorgehen der Polizei klagen werde, denn auch sie seien vom Kessel betroffen gewesen. Abschließend kündigte er eine weitere Demonstration in Düsseldorf an: „Ich denke, nicht nur der Rücktritt von Reul wird das Motto einer nächsten Demo in Düsseldorf sein. Wovon ich ausgehen: [beim letzten Mal] sind wir nicht zum Landtag gekommen. Wir werden aber zum Landtag kommen. Und wir werden mit mehr als 8.000 Leuten zum Landtag kommen! Das werden wir uns nicht nehmen lassen!“

In weiteren Redebeiträgen wurde erneut das geplante Versammlungsgesetz NRW kritisiert. Musikbeiträge rundeten das zweistündige Programm ab.

„Alle Beiträge machten klar, dass das Gesetz vielleicht die Umstände von Versammlungen ändern soll, aber der starke Wille sich für Klimagerechtigkeit, dem Ende der Tierindustrie und dem Rechtsruck einzusetzen, darunter nicht leiden wird. Im Gegenteil“, so das Fazit des Tierrechtstreffs.

Weitere Infos zur Repression gegen die Demo in Düsseldorf:

Demonstration in Düsseldorf: Versammlungsfreiheit eingekesselt
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Neues Versammlungsgesetz in NRW: Widerstand gegen Versammlungsgesetz im Westen wächst
Der Druck nimmt zu: Sogar die regierende FDP will das neue Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen entschärfen

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Am Donnerstag, den 1. Juli 2021, wird es in Münster eine weitere Demonstration gegen die Düsseldorfer Repression geben. Sie startet um 14:30 am Domplatz und wird zum Hüfferstift führen, wo Armin Laschet ein neues Wissenschaftsprojekt einweihen wird:

Fotos aus Düsseldorf:

Gegen das geplante Versammlungsgesetz NRW….

 

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