Paul trägt Maske

Münster. Antifaschistischer Protest wirkt. Eigentlich wollten die Münsteraner Verschwörungserzähler*innen der sog. Corona-Rebell*innen am 25. Juli 2020 eine Zwischenkundgebung ihres Fahrradcorsos an der Paul-Wulf-Skulptur abhalten. Am Ende kam es aber anders.

Als Münsteraner Antifaschist*innen mitbekamen, dass sich Münsters Verschwörungserzähler*innen an der bekannten antifaschistischen Skulptur versammeln wollten, wurde spontan eine Gegenkundgebung durch Kerstin Jordan, Mitglied im Arbeitskreis Antifaschismus der Linken in Münster, und dem Freundeskreis Paul Wulf angemeldet.

Um es kurz zu machen: Schon die Anmeldung des Gegenprotests hatte zur Folge, dass der angekündigte Zwischenstopp der vermeintlichen Corona-Rebell*innen von der Website verschwand. Und so kam es auch: Die gerade einmal 25 Corona-Rebell*innen radelten am Samstag schnurstracks an der Skulptur vorbei. Somit war der „Schwurblerspuk“ nach 25 Sekunden vorbei.

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Kraftvolle antifaschistische Kundgebung

Nachdem Kerstin Jordan die Kundgebung eröffnet und deutlich gemacht hatte, dass die Münsteraner Antifaschist*innen sich nicht die Paul-Wulf-Skulptur durch rechte Verschwörungserzähler*innen enteignen lassen würden erzählte Dr. Bernd Drücke vom Freundeskreis Paul Wulf, der auch mit Paul Wulf befreundet war, zunächst über das Leben von Paul Wulf. Paul Wulf, NS-Opfer und antifaschistischer Aufklärer, war eine eindrückliche Persönlichkeit Münsters. Und Bernd Drücke war sich sicher: Paul wäre am Samstag auf der Gegendemo gewesen!

NS-Opfer Paul Wulf: „lebensunwertes Leben“?

Als Kind mussten seine Eltern unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise ihn und eine seiner Schwestern in Kinderheime geben. Dort bekam er keine klassische Schulbildung, sondern wurde religiös indoktriniert. Außer dem Auswendiglernen von Bibelsprüchen konnten und wollten die Nonnen ihm keine Bildung zukommen lassen. Später wurde er in ein Heim für geistig behinderte Kinder verlegt und im NS-Jargon als „lebensunwert“ erklärt, obwohl er selbst nicht geistig behindert war. Unter dem beginnenden Faschismus konnten seine Eltern ihn nur aus dem Heim bekommen, wenn sie einer Zwangssterilisierung zustimmen würden. Denn die Kinder in dem Heim in Marsberg flehten, „holt uns hier raus, die bringen uns hier um!“ So war die Zwangssterilisierung einerseits Unglück für Paul Wulf, andererseits sein Glück: Die Tötung durch das NS-Euthanasieprogramm wurde ihm so erspart.

Stimme der Zwangssterilisierten: „Paul war jemand, der bewegen konnte“

Paul kämpfte nach dem Niedergang des Faschismus und der Befreiung Deutschlands vom Faschismus in der frühen BRD als Zwangssterilisierter um Rehabilitierung und Entschädigung als NS-Opfer. Aber er machte mehr: Er recherchierte in Archiven, sammelte und machte so in seinen Ausstellungen über den NS-Faschismus und seine Opfer öffentlich, wenn er wieder einen NS-Täter in öffentlichen Ämtern der jungen BRD wiederfand.

Paul war aber auch ein politischer Mensch. Er bezeichnete sich selbst als Anarchist und Kommunist. Mit Kaderkommunismus konnte er nicht viel anfangen, Emma Goldmann und Erich Mühsam waren seine Vorbilder. Und so war er auch Teil der Münsteraner Linken bis zu seinem Tod 1999.

Paul bleibt

Ebenso erklärte Bernd Drücke die Paul-Wulf-Skulptur, die nicht nur an das Schicksal Paul Wulfs erinnern soll, sondern auch an sein antifaschistisches Engagement. Deshalb sei die Skulptur als Litfaßsäule konzipiert und werde regelmäßig mit Plakaten aus der Anti-AKW-Bewegung, aus der Münsteraner Hausbesetzer*innenszene (Paul Wulf hatte selbst einmal an einer Hausbesetzung teilgenommen), über die Kriminalisierung von Münsteraner linker Literatur und natürlich über seine Ausstellungen zu NS-Faschismus und NS- Opfergruppen plakatiert. Und Drücke machte deutlich: Endlich sei es geschafft. Die Paul-Wulf-Skulptur, die seit 2007 auf dem Servatiiplatz steht, könne dank der Bezirksvertretung Mitte nun dauerhaft bleiben.

Mehr: Die nicht vorhersehbare Spätentwicklung der Paul W.

„Uns geht es um Solidarität, den anderen um Egoismus“

Carsten Peters vom Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ ging im zweiten Redebeitrag auf die Münsteraner Verschwörungserzähler*innen ein und wirkliche Solidarität unter Corona. So stellte er sofort klar: „Uns geht es um Solidarität, den anderen um Egoismus“! Er macht klar, den Verschwörungserzähler*innen geht es nur um Egoismus, wenn sie weg mit der Maske fordern würden. Und: Sie würde gegen vermeintliche Einschränkungen ihrer Freiheit kämpfen, wenn sie gegen „Rede- und Denkverbote“ andemonstrierten, obwohl sie ja wöchentlich ihre Gedanken in die Stadt tragen würden: „Das alleine schon sollte zeigen wie widersprüchlich und unsinnig das ist“. Er kritisierte die strukturellen antisemitischen Versatzstücke, denen dort nicht widersprochen werde. Er kritisierte das antidemokratische Potential dieser Bewegung. Er machte deutlich, dass ein Mitglied der Telegram-Gruppe dazu aufgerufen hatte, mit einem LKW in die nächste Black-Lives-Matter-Demonstration zufahren und etliche Menschen damit umzubringen. Strafanzeige sei erstattet worden. Denn, das sei keine „Bagatelle“ und müsse öffentlich gemacht werden.

Sein Fazit zu den Verschwörungserzähler*innen war: „Das ist völlig daneben ist, das das völlig aus der Welt ist“. Schließlich seien die Maßnahmen gegen die Corona, Maßnahmen die Leben retten soll. Nur aus Egoismus ständen diese sog. „Corona-Rebell*innen gegen diese Maßnahmen.

Dagegen forderte er Solidarität für die Menschen, die am Schlimmsten von den Folgen der Pandemie und der daraus resultierenden Wirtschaftskrise betroffen sind. „Die Corona-Krise triff damit die Menschen, die ohnehin am unteren Rande der Einkommensgruppen liegen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesundheitlich am Stärksten. Damit wird die Spaltung unserer Gesellschaft für diese Menschen zum tödlichen Risiko. Und ich glaube, das sind die Dinge über die man sprechen muss, und nicht, ob man einen Mundschutz tragen muss oder nicht!“

Ebenso sei Solidarität mit den „Held*innen der Krise“, wie z.B. Pflegekräften, erforderlich. „Diese Menschen wurden hochgelobt, für diese Menschen getan wurde nichts!“ Keine Lohnerhöhungen, keine neuen Mitarbeiter*innen für Krankenhäuser.

„Für diese Menschen sollten wir uns einsetzen“, so Peters, „das ist Solidarität und eben kein Egoismus!“

Verschwörungserzählungen/-ideologien sind keine Verschwörungstheorien

Der Münsteraner Soziologe Andreas Kemper, der die Höcke-Ladig-Verschwörung aufgedeckt hat, ging in seiner Rede auf den Unterschied zwischen Verschwörungserzählungen/-ideologien und Verschwörungstheorien ein.

Schließlich gebe es ja echte Verschwörungen. Und die werden zunächst durch Theorien unterfüttert, bis sie aufgedeckt werden (Manch Verschwörungstheorie bleibt auch nur eine Theorie, ist aber trotzdem nachvollziehbar).

So habe er die Verbindung des Bernd Höcke (AfD) zu den Ladig-Texten in den Nazi-Postillen des militanten Neonazis Thorsten Heise aufgedeckt. Am Anfang stand eine sprachanalytische Theorie, die er entwickelt habe. Nun haben sogar AfD und der Verfassungsschutz seine Theorie bestätigt.

Ebenso habe Paul Wulf Machtnetzwerke von Nazis in Münster aufgedeckt. So habe Paul Wulf zum Beispiel als Erstes die Geschichte des Professors für Humangenetik und ersten Lehrstuhlinhabers des neu gegründeten Instituts für Humangenetik an der Universität Münster. Dort lehrte er ab 1951. Denn: Otmar von Verschuer, so sein Name, war nämlich der führende Rassenhygieniker des NS. Und dieser habe seine „ganzen Rassenhygieniker nach Münster“ an sein Institut geholt. So habe Paul Wulf dieses geheime Machtnetzwerk aufgedeckt.

Und Kemper macht darauf aufmerksam, dass Verschwörungstheoretiker*innen aus einer bestimmten Perspektive forschen würden. Sie würden gegen Macht forschen. Sie hätten Perspektiven der Armut (Paul Wulf habe zum Beispiel aus der Perspektive der Herkunft aus armen Verhältnissen geforscht). Aber auch die feministische Perspektive oder die Perspektive von BIPoC (Black People, Indigenous People and People of Color) – im Allgemeinen der Standpunkt der Unterdrückten – könne zeigen, dass man eine verschwörungstheoretischen Ansatz habe.

Verschwörungserzählungen/-ideologien wollen nur verwirren“ und von realen Problemen ablenken

Dagegen haben Verschwörungserzählungen/-ideologien kein theoretisches Fundament. Sie basieren auf selektiver Wahrnehmung und Leugnung von Realität.

Deshalb müsse man gegen Verschwörungsideologien, die Antifeminist*innen, Rassist*innen und auch Neoliberale in die Welt setzen, ankämpfen, denn diese sollen nur „verwirren“ und von realen Problemen ablenken.

Fazit

Da die Münsteraner Verschwörungserzähler*innen nicht den Platz an der Paul-Wulf-Skulptur okkupieren konnten, muss man die Gegenaktion der Münsteraner Antifaschst*innen als vollen Erfolg werten. Und bald sin die ja auch hoffentlich Geschichte, denn irgendwann werden diese Leute merken, dass Merkel und Co nicht eine „faschistische Corona-Diktatur“ errichten wollen, sondern einfach „nur“ mit der kapitalistischen Demokratie weiter machen wollen.

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