Variablen setzten Beginn
Münster. Am 1. September 2020 fand wieder der traditionelle Antikriegstag des DGB Münsterland statt. Mit traditioneller Kundgebung und Kranzniederlegung – aber Corona-konform –also mit An- und Abstand und Maske.
Auch unter Corona sollte am 1. September am Zwinger in Münster, dem ehemaligen Gestapo-Gefängnis und gleichzeitiger Hinrichtungsstätte dem Kriegsbeginn des Zweiten Weltkrieges gedacht werden: „Der 1. September ist als Antikriegstag für die Gewerkschaften ein besonderer Tag der Mahnung und der Erinnerung. Mit dem Überfall auf Polen riss Nazi-Deutschland 1939 die Welt in den Abgrund eines bestialischen Krieges, der unermessliches Leid über die Menschen brachte und 60 Millionen Tote forderte. 75 Jahre nach Kriegsende gilt die Erinnerung an diese zahllosen Toten wachzuhalten und der Millionen von Holocaust-Opfern zu gedenken, die von den Nazis ermordet wurden“, so hieß es in der diesjährigen Einladung.
Redner*innen waren diesmal neben den DGB-Vorständen Peter Mai und Carsten Peters der Integrationsratsvorsitzende Dr. Ömer Lütfü Yavuz und erstmalig in der Geschichte des Münsteraner Antikriegstages der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Sharon Fehr. Der Chor „Die Untertanen“ sorgte traditionell für den musikalischen Rahmen, Corona-bedingt fiel der Beitrag aber etwas anders aus.
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem es kroch!“ (Bertold Brecht)
In seiner Gastrede machte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Sharon Fehr deutlich, dass das einzige Denkmal, dass der barbarische Nationalsozialismus hinterlassen hat, das KZ-System gewesen sei:
„‚Der Tod ist ein Meister aus Deutschland‘, so habe ich eingangs Paul Celans Todesfuge zitiert. Ich möchte ergänzen: Ein Meister aus Deutschland, dem Land, das Wissenschaft, Kultur und Technik auf neue Höhen geführt hatte. Der Meister ist eben einer, der es gut kann, was immer er auch tut. Man fragt nicht was er macht, es muss nur funktionieren. Einer muss nur dafür sorgen, dass die Züge fahren, der andere wiederum muss dafür sorgen, dass die Züge auch voll sind, dass sie pünktlich abfahren. Die Züge nach Auschwitz – mehr nicht. Was haben sie hinterlassen, die Nazis? Wo haben sie hinterlassen, was sind ihre literarischen, ihre künstlerischen, ihre philosophischen, ihre architektonischen Eigenschaften. Nein, verehrte Damen und Herren, liebe Freunde, das Nazi-Reich löste sich Gott Lob in Null und Nichts auf. Nur ein Denkmal, ein (!) Denkmal blieb übrig. Die Überreste des KZs. Und an deren Spitze nur eine große Leistung der nationalsozialistischen Barbaren: Auschwitz und der Massenmord. Als der Krieg 1945 endlich zu Ende war, waren ungefähr sechs Millionen Juden ermordet worden. Daher, liebe Freunde, heißt es für uns aus jüdischer Perspektive: Nie wieder Opfer!“
Für ihn sind deshalb auch der 8. Und der 9. Mai Tage der Befreiung vom Faschismus und Tage des Sieges: „Tage des Sieges über die Barbarei und den Völkermord“. Sie sind aber auch „Tage der Mahnung“!
Er erinnerte aber auch daran: Insgesamt starben 80 Millionen Menschen in dem grauenhaften Krieg, etliche wurden verwundet, Europa war am Ende verwüstet, Europa lag am Boden. Und er erinnerte daran, dass der Krieg schon weit vor dem 1. September 1939 begonnen hatte: Denn der Terror der SS traf die jüdische Bevölkerung schon unmissverständlich weit vorher.
Er wies aber auch auf die heutige Verantwortung hin:
„Denn Nazis und Rechtspopulisten alle Couleur sind wieder unterwegs, hetzen in Kommentarspalten…“
Dabei prangert er an, dass die Nazis wieder in Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden Fuß fassen, dass es zugelassen wird, dass die Nazis wieder mit Reichskriegsflaggen die Treppen des Bundestages stürmen, aber natürlich auch, dass immer noch die jüdischen Gemeinden in Deutschland mit bewaffneter Polizei, Videoüberwachung und Sicherheits- und Panzerglas geschützt werden müssen.
Er prangert auch die Hetze gegenüber den Flüchtlingen an. Ebenso prangert er auch die heutige breite Gleichgültigkeit gegenüber den Flüchtlingen in den Flüchtlingslagern wie Moria in Griechenland und gegenüber dem Sterben im Mittelmeer an: „Daran dürfen wir uns nicht gewöhnen“, so Sharon Fehr.
Er warnt aber auch davor: Die parlamentarische Demokratie sei zwar stabil. Sie sei aber auch gefährdet. Denn die rechten Schleusen seien wieder offen. Die rechten Parteien sitzen europaweit in den Parlamenten – auch in Deutschland: „‚Nie wieder!‘ bedeutet kein ritualhaftes Gedenken, sondern Wachsamkeit! Streben nach gesellschaftlichem Miteinander, nach Empathie, nach Respekt, nach Menschenwürde und nach Pressefreiheit! Alles längst keine Automatismen. Sie bedürfen des Schutzes und unserer steten Wachsamkeit!“
Halle, Hanau, NSU 2.0, jüngst eine Attacke auf einen Rabbiner in München, dies seien alles Signale, die Reihen der Demokraten unter uns geschlossen zu halten und wachsam zu bleiben:
„Und vor allem sollten wir jenen in unseren Parlamenten die Stimme verweigern, die mit der Tradition des Faschismus nicht brechen wollen! Die vom Holocaust-Denkmal in Berlin als ‚Denkmal der Schande‘ reden und die mit relativierenden Behauptungen, Hitler und die Nazis seien ja nur ein ‚Vogelschiss‘ der deutschen Geschichte die Verbrechen der Nazis relativieren und gar umschrieben wollen. Liebe Freunde, lassen Sie mich Tacheles reden: Wenn Politikerinnen und Politiker außer Hass und Hetze keinerlei gangbare Lösungen für die aktuellen Probleme und Herausforderungen unserer Gesellschaft haben, liebe Freunde, dann sind diese Leute in unseren parlamentarischen Gremien absolut eine Fehlbesetzung!“
Und er schloss mit einem Vers des Propheten Micha auf Hebräisch und Deutsch (hier in der deutschen Version):
„Und sie werden ihre Schwerte zu Flugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.
Und kein Volk wird das andere Schwert erheben und sie werden hinfort nicht mehr lernen Krieg zu führen!“
„Wir müssen gegensteuern!“
Carsten Peters, Vorstand beim DGB und GEW-Sekretär, erinnerte in seiner Rede auch an das Leid und Gräuel, dass der Faschismus gebracht hatte. Er forderte aber auch einen verstärkten Kampf gegen den neuen Faschismus.
Aber ebenso auch eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts – gerade in Zeiten von Corona, Klimawandel und Digitalisierung.
„Wir müssen gegensteuern! Dafür sind neben einem starken und solide finanzierten Sozialstaat immense öffentliche Investitionen notwendig: In Gesundheit und Pflege, in das Bildungssystem, in eine sozial-ökologisch Gestaltung der Energie- und Verkehrswende, in die kommunale und digitale Infrastruktur und den sozialen Wohnungsbau. Sicherlich nicht in Aufrüstung!“
Zum Schluss seiner Rede ging Carsten Peters noch einmal auf die Erinnerungspolitik ein:
„Als Beispiel seien die Kriegerdenkmäler genannt, zum Beispiel das Herero-Denkmal am Ludgerikreisel, für das es neue Lösungen geben muss. Und auch für so mache Straße und manche Plätze muss ein neuer Name gefunden werden. Für die Danziger Freiheit, wo es aktuelle Initiativen gibt, die wir unterstützen. Es gibt die Austermannstraße und die Admiral-Scheer-Straße für die der DGB ebenfalls Anträge gestellt hat, diese umzubenennen!“
Und er freut sich darüber, dass das Gedenken zum Volkstrauertag nicht mehr am Dreizehner Denkmal stattfindet, an dem der Wehrmachtsspruch „Treue um Treue“ eingraviert ist.
Das Moorsoldatenlied
Zum Abschluss sang der Chor „Die Untertanen“ das Moorsoldatenlied. Diesmal in Corona-kompatibler Version. Das Publikum sollte deshalb diesmal nicht mitsingen. Auch sang nicht der ganze Chor. Dafür rezitierten drei der Mitglieder des Chores Reihum die Strophen des Liedes begleitet durch Akkordeon und Cajon. Das hob den Inhalt des Liedes in besonderer Form hervor. Corona kann also auch etwas Gutes haben.
Alle Reden des diesjährigen Antikriegstags können in der Playlist bei MünsterTube nachgehört werden:
5 Gedanken zu „„Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus!““
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