Moria brennt: „Eine angekündigte Katastrophe“


Variablen setzten Beginn

Münster. 800 Menschen haben auf einer Spontandemonstration vom Hauptbahnhof zum Prinzipalmarkt die Aufnahme von geflüchteten Menschen aus Moria und den anderen überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln in Deutschland gefordert.

Nachdem in der Nacht zum Mittwoch im Lager Moria ein Feuer ausgebrochen war und inzwischen alle Geflüchteten obdachlos auf Lesvos ausharren, wurde am Mittwochmorgen eine Spontankundgebung für den Abend um 18:30 Uhr vorbereitet. Geplant war eine Demonstration mit 300 Menschen – gekommen waren über 800.

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Schon in der Ankündigung zur Demo hieß es, dass es „eine angekündigte Katastrophe“ ist. Die Situation ist seit langem schwierig – ohne ausreichend Zugang zu sauberem Wasser, medizinischer Versorgung, sanitären Anlagen und ohne der Möglichkeit, Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen einzuhalten –, schließlich leben dort 13.000 Geflüchtete in einem Camp, dass für gerade einmal 3.000 Menschen ausgelegt ist. Zuletzt war – auch das war absehbar – dort Corona ausgebrochen. Statt Hilfe gab es Quarantäne für alle 13.000 Menschen.

So begann der Redebeitrag der Seebrücke Münster auch:

„Moria brennt.

Das Lager für Geflüchtete auf der griechischen Insel Lesbos steht in Flammen. Brandstifterin ist die EU. Brandstifterin ist auch die deutsche Bundesregierung. Brandstifter*innen sind alle, die seit Jahren tatenlos auf die Lage an den europäischen Außengrenzen sehen.“

Die EU-Flüchtlingspolitik in Griechenland wurde scharf kritisiert: „Statt Fluchtursachen nachhaltig und solidarisch anzugehen, finanziert die EU griechische Sicherheitskräfte, die gegen Geflüchtete inzwischen auch mit Schusswaffen vorgehen.“ Und auch die Situation an den anderen EU-Außengrenzen wurde kritisiert:

„Die EU finanziert millionenfach die sogenannte libysche Küstenwache, die Geflüchtete gegen universelle Menschenrechte auf dem Mittelmeer regelmäßig abfängt und nach Libyen zurückschleppt. Dort werden sie zu Tausenden in Lager und Gefängnisse gesperrt, wo Hunger, Krankheiten, Folter und Versklavung drohen. Seit 2014 sind an den EU-Außengrenzen nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration mehr als 20.000 Menschen ums Leben gekommen. Der Weg über das Mittelmeer gilt als eine der weltweit gefährlichsten Fluchtrouten. In Seenot geratende Fluchtboote warten nicht selten vergeblich auf Hilfe. Ihre Hilferufe werden von den europäischen Staaten systematisch ignoriert.“

Da Seenotrettung international verpflichten ist, wurde auch das Regierungsduo Seehofer/Maas kritisiert: „Trotzdem werden von staatlicher Seite die Ressourcen zur Seenotrettung immer weiter eingeschränkt. CSU-Minister Scheuer und SPD-Minister Maas ändern Verordnungen dahingehend, dass Rettungsschiffe nicht mehr auslaufen können und behindern damit aktiv die zivile Seenotrettung.“

174 Städte und Kommunen sind „Sicherer Hafen“

Konkret wurde Bundesinnenminister Horst Seehofer kritisiert, der sich gegen die Aufnahme Geflüchteter in Deutschland stemmt:

„In Deutschland haben sich mittlerweile 174 Städte und Kommunen – darunter auch Münster – zu ‚Sicheren Häfen‘ und zur Aufnahme geflüchteter Menschen über die gesetzliche Quote hinaus bereiterklärt. Im März 2020 wurde von der Stadt [Münster] mitgeteilt, dass ausreichend Kapazitäten vorhanden sind, um 80 Menschen aus den griechischen Lagern aufzunehmen. Die Bundesregierung hat letztlich deutschlandweit der Aufnahme von etwa 300 unbegleiteten Minderjährigen zugestimmt – diese Zahl ist beschämend!

Das Innenministerium unter Horst Seehofer verhindert die Aufnahme geflüchteter Menschen, die gesamte Bundesregierung beschränkt sich auf Symbolpolitik!“

Und als Frage an Ministerpräsidenten Laschet der am Mittwoch erklärt hatte, 1000 Menschen in NRW aufnehmen zu wollen: „Warum erst heute?

Abschließend hieß es:

„Wir müssen jetzt erst recht darauf drängen, dass endlich Verantwortung übernommen wird und Menschlichkeit wieder großgeschrieben wird. […] Evakuiert alle Lager! Moria brennt schon viel zu lange!“

„Trauer und Entsetzen, das Gefühl von Hilflosigkeit – und purer Wut!“

In seiner Rede machte das Bündnis gegen Abschiebungen aus seiner Trauer und Wut keinen Hehl:

„Als fühlende Menschen sind wir tief traurig angesichts einer solchen Flammenhölle, die tausenden entrechteten Menschen die allerletzten Ressourcen  nimmt, ihnen höchstens noch das nackte Leben lässt. Wir sind auch entsetzt, dass sich solch ein Unheil im Jahr 2020 im vermeintlich aufgeklärten Europa ereignen kann.“

Und das Bündnis forderte dazu auf, sich nicht der Hilflosigkeit hinzugeben. Man müsse verstehen, wie die „Zahnräder der Entrechtung ineinander greifen“ und das ins Handeln übersetzen:

„Uns aber führt das Gefühl von Hilflosigkeit geradewegs zu jener tiefsitzenden Wut, die die Verhältnisse nicht weiter hinnimmt!“

Das Bündnis macht dabei auf die Wirkung einer reinen ökonomisch motivierten Politik mit einer damit rassistischen Wirkweise aufmerksam:

„Damit gehen wir davon aus, dass es sich bei Moria um das Resultat einer in erster Linie ökonomisch motivierten Politik handelt, die sich alles einverleiben soll und in dem Zuge eine umfassende rassistische Wirkweise entfacht – von der internationalen über die bundesdeutsche bis hin zur lokalen Ebene. Und dass diese Art der Politik über Leichen geht, kommt nicht von ungefähr, sondern ist historisch angelegt.“

Und diese Politik habe schon in der Vergangenheit ihre Wirkmächtigkeit entfaltet:

„So ist die EU als Hort von Reichtum und Macht nicht vom Himmel gefallen, sondern basiert auf Jahrhunderten kolonialer Ressourcen-Plünderung und menschlicher Ausbeutung auf anderen Kontinenten.“

Und wirke bis heute fort:

„Allein schon die Geschichte müsste echte, grenzenlose Offenheit zum europäischen Prinzip machen, gegenüber all den Menschen, denen millionenfach Ungerechtigkeit und Schmerz zugefügt wurde. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Union verhandelt heute mit afrikanischen Ländern über Freihandelsabkommen, die den EU-Mitgliedstaaten massenhaften Zugang zu neuen Märkten eröffnen und einheimischen Anbieter*innen ihre Existenzgrundlage nehmen. Weigern sich diese Länder, die ungleichen Bedingungen zu akzeptieren, wird mit Kürzung von Entwicklungshilfe gedroht. Das Primat des europäischen Wachstums lebt noch immer auf und von den Ruinen unterworfener Erdteile, wodurch Fluchtursachen niemals bekämpft sondern immer nur weiter geschaffen werden können.“

Und diese Politik reiche auch bis nach Münster:

„Wir dürfen aber nicht vergessen, dass auch Münster sozusagen als verlängerter Arm des Systems Moria fungiert, da auch in dieser Stadt ein Lager unterhalten wird, durch das Menschen in zwei Klassen eingeteilt werden: diejenigen außerhalb der Stacheldrahtzäune, mit Grundrechten ausgestattet – und diejenigen drinnen, deren Würde genommen, deren Stimmen unterdrückt, ja deren Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit mutwillig auf‘s Spiel gesetzt wird. Die Zentrale Unterbringungseinrichtung – kurz ZUE – ist und bleibt der asylpolitische Schandfleck unserer Stadt, dessen zugrunde liegendes Prinzip rassistischer Diskriminierung sich nicht von dem der griechischen Lager unterscheidet.“

Abschließend kündigte das Bündnis an und forderte alle dazu auf:

„Bleiben wir also wütend!

Kämpfen wir gegen diese Festung Europa!

Fangen wir vor Ort damit an!“

Weitere Redebeiträge kamen von der Münsteraner Lokalgruppe „Beyond Europe“, der Interventionistischen Linken, dem ODAK-Kulturzentrum und Georgios Tsakalidis, Mitglied des Integrationsrats Münster.

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