Mir lebn ejbig

Ihre Stimme erschallt nun nur noch auf  Platten, CDs, auf youtube, in Filmen und sonstigen Ton- und Bildträgern. Ihr irdisches Leben ist nach 96 Jahren beendet.

Esther Bejarano war eine der allerletzten Zeitzeuginnen des faschistischen Terrors an Regierungsmacht.  Ihre Lebensgeschichte ist schon in zahlreichen veröffentlichten Nachrufen nachgezeichnet. 

Über die immer schrecklicher werdenden Erlebnisse für jüdische Menschen während der faschistischen Zeit mit den für sie folgenden Erfahrungen im Vernichtungslager Auschwitz, später im KZ Ravensbrück, wohin sie gegen Ende des Krieges als sogenannte Halbjüdin ausgewiesen wurde, bis zum Todesmarsch in den letzten Kriegstagen kurz vor der Befreiung im Mai 1945 konnte sie über viele Jahre danach nicht reden.  – Das Schweigen wurde zum kämpferischen Engagement, als sie erleben mußte, wie ein NPD-Infostand in der Nähe ihrer Boutique in Hamburg von Polizisten gegen antifaschistischen Protest geschützt wurde. Sie erkannte: dieser Staat wurde mit belasteten Nazipersonal in einflußreichen Stellen aufgebaut und betrieben, die mit dafür sorgten, daß die 12 Jahre des terroristischen Regierungsfaschismus zum gesellschaftlichen Tabuthema wurden und deshalb gesellschaftliche Freiräume für faschistische Ideologie und Aktivitäten alter und neuer Nazis gefördert wurden.  – Und deshalb engagierte sie sich in der VVN/BdA , im Auschwitzkomitee und künstlerisch. Der Musik verdankte sie ihr Leben im Mädchenorchester in Auschwitz und ihre kämpferische Energie. Im Text weiter hier!

In der Musikgruppe Coincidence  mit Freund*innen und ihrer  Tochter Edna und ihrem Sohn Joram  war sie bei vielen Konzerten in der Friedensbewegung, bei Solidaritätsaktionen und auf internationalen Tourneen unterwegs. In der Folge verband sie das Bühnenprogramm  mit einer Lesung zu ihrer erlebten Geschichte während der 12 faschistischen Jahre. – Im schon hohen Alter von über 80 Jahren erhielt sie einen Anruf von der Mafia. Es war Kutlu von der microphone mafia, der ihr ein gemeinsames Bühnenprogramm vorschlug – ihr Musikrepertoire kombiniert mit Hip-Hop- und Rap Rhythmus und -Texten. Ein Erfolgskonzept. Über 10 Jahre war Esther mit der microphone mafia  mit kaum zu zählenden Konzerten unterwegs. Das Programm begann immer mit einer Lesung ihrer schrecklichen Erfahrungen und Erlebnisse während der faschistischen Regierungszeit. Sie erreichte und beeindruckte damit -wie beabsichtigt- großenteils jugendliches Publikum. Aber nicht nur. Mit dem Programm erreichten sie Menschen aller Generationen. Die sehr unterschiedlichen Veranstaltungsorte waren Bühnen in Jugendzentren, in Kirchen, in Schulen, in Veranstaltungszelten und auch auf großen Bühnen z.B. beim UZ-Pressefest.

Die Konzerte der kleinen Tournee in Kuba 2017 waren für sie sicher Höhepunkte. Sie widmete die Konzerte dem wenige Wochen vorher 90-jährig verstorbenen Fidel Castro. Ihre Grundeinstellung für ihr Engagement erläuterte sie dort auf der Pressekonferenz, die alle kubanischen Medien verbreiteten: Ich bin eine glühende Antifaschistin. Wenn es möglich ist, werde ich das ganze Leben lang kämpfen, damit der Faschismus nie wieder aufkommt, der meine Schwester und meine Eltern umgebracht hat. Mit diesem Ziel habe ich Konzerte in vielen Ländern Europas und der Welt gegeben. Wir singen Lieder gegen den Krieg und für die Liebe. Ich habe begriffen, daß es sehr wichtig ist, daß die Jugend erfährt und versteht, was während des Faschismus geschah, damit das nicht wieder passiert. Deshalb arbeite ich seit Jahren mit dieser Rap-Gruppe und wir sind schon eine große Familie; denn sie sind Antifaschisten wie ich. Und weiter: In der Gruppe sind wir drei Generationen und repräsentieren drei Religionen: die jüdische, den Islam und das Christentum. Wir haben eine ausgezeichnete Kommunikation. Das ist etwas, was wir der Welt beibringen wollen. Ganz unterschiedliche Personen können eine gute Arbeit schaffen mit einem wirklichen Respekt vor der Verschiedenheit, aber immer darauf konzentriert, das Gute und die Gerechtigkeit zu vertreten.

Esthers Meinung war auch in politischen Auseinandersetzungen gefragt. Die sind in zahlreichen veröffentlichten Interviews und Podiumsgesprächen dokumentiert. – Aus eigener Erfahrung aus ihrem ersten Nachkriegs-Lebensmittelpunkt in Israel erwuchs ihre kritische Haltung zur israelischen Regierungspolitik, die sie bei entsprechenden Gelegenheiten deutlich vertrat. Sie wehrte sich nachdrücklich gegen Antisemitismus und bezog immer wieder Stellung für Antirassismus und Antifaschismus. Erinnern heißt handeln war ihr Auftragsmotto an die Jugend.  Unzählige Menschen konnten Esther in ihrem kämpferischen Engagement  erleben. Das ist nun leider vorbei. Was bleibt sind die Erinnerungen an sie. Ihre nachdrückliche Forderung, den 8. Mai, den Tag der Befreiung zum Feiertag zu machen, bleibt als Auftrag und es bleibt ihre Feststellung gültig für alle Nachkriegsgenerationen: „Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt.“

Ich bin sehr dankbar dafür, Esther auch persönlich nahe gewesen sein zu dürfen.

Text und Fotos: jochen vogler -außer o1 = kurt feisel und 22 = ernst wilhelm grüter 

 

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6 Gedanken zu „Mir lebn ejbig“

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