Köln: Sozialarbeiter als Hausbesetzer vor Gericht

Heraus zum Ersten Mai, heißt es sonst von den Gewerkschaften. Im vorigen Jahr drehte die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) den Slogan um: Mit “Herein zum Ersten Mai“ prangerten die Aktivisten die Wohnungsnot im Kölner Stadtgebiet an und besetzten dabei gleich drei Häuser im Stadtteil Ossendorf, die seit Jahren leer standen. Das hatte eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gegen den SSM-Sozialarbeiter Rainer Kippe (75) zur Folge, der sich dafür am 04.03.2020 vor dem Amtsgericht verantworten musste.
Fortsetzung unten!


Die Vorgeschichte: seit 1969 gibt die SSM Hilfe und Vermittlung bei Obdachlosigkeit. Und die Stadt Köln steht beim Anteil der Obdachlosen zur Einwohnerzahl in NRW ganz oben.
Am 03.12.2018 bat die damals 72-jährige Ursula B. dort um Unterstützung: seit 5 Monaten obdachlos, ohne Chance auf dem regulären Wohnungsmarkt, immer nur nachts in einer Schlafstelle der Caritas untergebracht und tagsüber auf der Straße oder zum Aufwärmen in Büchereien oder Museen unterwegs.
Zunächst konnte die SSM Frau B. in einem vereinseigenen, umgebauten Bauwagen unterbringen. Per sofortiger Mail und 2 Schreiben in der Folgezeit wandte sich Rainer Kippe an die Stadt Köln. Von dort wurde am 19.02.2019 die Zuweisung in eine Wohnung zurück gewiesen und wiederum nur die Vermittlung einer Schlafstelle in einem „Einfachhotel“ angeboten. Auf das Alter und den Gesundheitszustand der Betroffenen wurde dabei nicht weiter eingegangen.
In der Zwischenzeit hatten sich 3 weitere ältere Frauen in ähnlicher Situation an die SSM gewandt, die von städtischer Seite immer nur von Schlafstelle zu Schlafstelle gereicht wurden und tagsüber sich selbst überlassen waren. Eine dieser Seniorinnen ist schwer zuckerkrank und inkontinent, bei den städtischen Behörden war dieser Zustand bereits aktenkundig. Die SSM forderte die Stadt Köln deshalb am 11.03.2019 insbesondere für diesen Fall nochmals per Mail dringend auf, eine Wohnung zu vermitteln.
5 Tage später unternahm die SSM dann den ersten – öffentlich angekündigten – Versuch, alle 4 Seniorinnen per Hausbesetzung in einer seit Jahren leerstehenden Wohnung eines stadteigenen Gebäudes in Dellbrück unterzubringen. Noch am selben Tag erschien darauf ein Vertreter des Liegenschaftsamtes mit Polizei und forderte die Besetzer zum Verlassen der Wohnung auf, versprach aber für eine Alternative zu sorgen und verzichtete auf eine Anzeige. Zum dortigen Leerstand verwies der städtische Vertreter seinerzeit darauf, dass sich in dem denkmalgeschützten Haus der Hausschwamm ausbreite und deshalb eine Generalsanierung nötig wäre.
Nachdem ein weiterer Monat ohne weitere Fortschritte verging, kam es am 1.Mai 2019 dann zur zweiten Hausbesetzung. Diesmal handelte es sich um Häuser im Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) in Ossendorf, die vorher von belgischen Militärangehörigen bewohnt waren. Auch diesmal hatte die SSM für Öffentlichkeit gesorgt – was bald auch wieder die Ordnungsmächte auf den Plan rief und zu einer umgehenden polizeilichen Räumung führte.
In der von großer Zuschauerschar begleiteten und gelegentlich gestörten Verhandlung zeigte sich schnell, dass sowohl Richter wie auch Staatsanwalt den Prozess mit einer Lösung „im unteren Bereich der juristischen Rahmenvorgaben“ zu Ende bringen wollten. Die von Kippe dargelegte Vorgeschichte und die alters- und gesundheitsbedingte Situation der Betroffenen wurden daher als glaubhaft hingenommen und deshalb auf deren Zeugenaussagen verzichtet – womit sicherlich auch eine medienwirksame Darstellung der städtischen Untätigkeit gegenüber diesen nicht noch weiter vertieft werden sollte.
Mit dem Vorschlag der Verfahrenseinstellung gegen eine Geldbuße für eine gemeinnützige Organisation zeigten sich Kippe und sein Anwalt Dr. Comes jedoch nicht einverstanden. Zur Verteidigung berief man sich u. a. auf einen Notstand im Sinne des § 34 StGB, da das Alter und die Gesundheit der Betroffenen eine schnelle Lösung erforderte und der vom Staatsanwalt angemahnte Rechtsweg hierfür als zu langwierig angesehen worden war.
Als einziger Zeuge vernommen wurde dann ein Mitarbeiter des BIMA, der hierfür eigens von seiner Dienststelle in Münster angereist war und die Situation vor Ort, nach eigenem Bekunden, nur von einem einmaligen Besuch zwei Jahre zuvor kannte.
Das BIMA hatte demnach seinerzeit den Strafantrag gestellt, um Nachahmereffekte zu vermeiden und im Fall von Sachbeschädigungen (bei der Besetzung ging je eine Fensterscheibe zu Bruch) eine Regressverfolgung sicherzustellen. Die Dauer des Leerstands, vom SSM mit 10 Jahren angegeben, wurde vom Zeugen bestritten, nach dessen Kenntnis seien es „nur“ 2-4 Jahre.
Des Weiteren stellte sich heraus, dass die Häuser zum Zeitpunkt der Besetzung bereits an die Stadt Köln verkauft waren, nur „der Besitzübergang sei noch nicht vollzogen gewesen“.
Da die BIMA so im Grunde schon nicht mehr als Geschädigte in diesem Vorfall angesehen werden könnte, wurde der Zeuge von Richter und Staatsanwalt zu der Möglichkeit befragt, die Strafanzeige zurück zu ziehen – natürlich „ohne auf diese Entscheidung Einfluss nehmen zu wollen“. Hierfür müsse er die Entscheidung seiner Vorgesetzten einholen, so der BIMA-Mitarbeiter, was etwa 14 Tage dauern würde. Die Verhandlung wurde daraufhin bis zur Klärung dieser Frage vertagt.
Nicht Gegenstand der Verhandlung, aber von der Verteidigung mit zur Sprache gebracht: 50.000 € Geldstrafe drohte die Stadt Köln 5 Tage vor der Hausbesetzung in Ossendorf Immobilienbesitzern an, die ihre Wohnungen nur an Touristen vermieten und so dem Wohnungsmarkt vorenthalten. Was aber, wenn der Bund oder die Stadt selbst Wohnraum leer stehen lässt? Die Häuser in Ossendorf und Dellbrück, so Kippe, seien bis heute immer noch nicht vermietet.
Udo Slawiczek

6 Gedanken zu „Köln: Sozialarbeiter als Hausbesetzer vor Gericht“

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