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Münster. Am 29. September 2020 stellte der Freundeskreis Paul Wulf die neu gestaltete Grabstelle des NS-Opfers Paul Wulf auf dem Zentralfriedhof vor
Der zwischenzeitlich verwitterte Grabstein, der zuvor auf der Grabstelle lag, wurde geschliffen, restauriert, die Inschrift nachgezeichnet. Diesmal wurde er aufrecht aufgestellt und flache Bodendecker auf die Grabstelle von Paul Wulf, seinen Eltern und seiner Schwester Agathe gepflanzt. „Bei mehreren Unternehmen habe ich Kostenvoranschläge eingeholt. Und dann hat Herr Kerkemeier sich zurückgemeldet, dass er von der persönlichen Lebensgeschichte Paul Wulfs so angetan sei, dass er sich dazu bereitgefunden hat, die Arbeiten zu unserer vollsten Zufriedenheit zu übernehmen“, so Detlef Lorber vom Freundeskreis Paul Wulf, der die Grabstelle pflegt. Steinmetz Götz Kerkemeier von der Firma „Flora Grabmale“ aus Handorf ergänzt: „Wir haben alle mit unserer Lebenszeit Glück gehabt. Wir sind nicht in der Nazi-Zeit groß geworden. Diese Schandtaten, die an Menschen wie Paul Wulf begangen wurden, machen mich noch heute sprachlos. Für mich ist das unfassbar. Und ich finde toll, was der Mann noch aus seinem Leben gemacht hat“. Deshalb hat er die Arbeiten am Stein kostenlos durchgeführt und damit das Projekt gesponsert hat. Er verspricht, dass er immer wieder helfen werde, wenn Steinmetz-Arbeiten am Grab ausgeführt werden müssen.
Paul Wulf, gestorben am 3. Juli 1999, war Opfer des Faschismus – er wurde zwangssterilisiert. Sein vermeintlicher „angeborener Schwachsinn“ wurde ihm zum Verhängnis. Dabei war er nur aus der Not der Eltern in ein Kinderheim gegeben worden. Dort, von den Nonnen zu Unwissen und unbedingtem Gottgehorsam „erzogen“, gehörte er zu den Menschen, denen Bildung verwehrt wurde. „Die Eltern von Paul wollten, dass Paul so schnell wie möglich aus dem Heim heraus kommt, nachdem sie 1937 bei einem Besuch im Heim von den Kindern gebeten wurden: ‚Holt uns hier raus, die bringen uns hier um‘“, so Dr. Bernd Drücke vom Freundeskreis Paul Wulf. „Tatsächlich war es so, dass in diesem Heim in Marsberg schon vor der Euthanasiewelle Kinder ermordet wurden, Kinder zu Tode kamen – auf ‚geheimnisvolle Weise‘. […] Es gab aber nur eine Möglichkeit aus diesem Heim zu kommen, indem man zwangssterilisiert wird. […] Die Zwangssterilisierung hat Paul womöglich das Leben gerettet!“, so Drücke weiter. Denn: „Viele von seinen Freunden, die im Heim verblieben waren, sind später im Zuge des NS-Euthanasieprogramms ermordet worden“.
Stimme der 350.000 Zwangssterilisierten
Nach dem Faschismus war der Außenseiter Paul Wulf „unermüdlicher Aufklärer“ über die Verbrechen des Faschismus – insbesondere über die Opfer der NS-Euthanasie. Die meisten zwangssterilisierten NS-Opfer haben nie öffentlich gemacht, was ihnen passiert ist: „Die meisten haben sich dafür geschämt. Einer der ganz wenigen, der immer wieder an dieses Verbrechen erinnert hat, war Paul Wulf. Er wurde sozusagen die Stimme der 350.000 Zwangssterilisierten“, so Drücke.
Aber war auch politischer Aktivist: Er hat sich schon 1958, als sich auch in Münster die ersten „Anti-Atomtod“-Proteste bildeten, an den Protesten beteiligt. „Es gab damals einen offenen Brief von Professor*innen aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr stark gemacht“ hatten, so Drücke, nachdem unter Bundeskanzler Adenauer „der Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß die Atombewaffnung der Bundeswehr erreichen wollte“. Später war Paul Wulf aktiv in der Anti-Atom-Bewegung. „Er war auch in Brokdorf“, so Drücke. „Paul hat einen immer bewegt, er war ein Mensch der begeistern konnte, auch wenn er manchmal schwierig war, als ‚kauzig‘ galt“, so Drücke, der mit Paul Wulf gut befreundet war. Norbert Eilinghoff, auch Freundeskreis Paul Wulf, ergänzt: „Ich kann mich erinnern, bei der Trauerfeier von Paul Wulf waren Menschen ganz unterschiedlicher Couleur. Menschen von christlichen Parteien, wie von linken Parteien, anarchistischen Gruppierungen wie konservativen Gruppen. Die waren da, einfach weil sie Paul als Menschen in seiner kämpferischen Natur sehr geschätzt haben“. Der Freundeskreis Paul Wulf hatte sich direkt nach der Trauerfeier gegründet.
Münsters bekanntester Antifaschist
Inzwischen ist Paul Wulf Münsters bekanntester Antifaschist. 2012 wurde auf Betreiben des Freundeskreises der Jöttenweg, benannt nach einem Münsteraner NS-Rassenforscher und Befürworter der Zwangssterilisation, umbenannt in Paul-Wulf-Weg. Am bekanntesten ist die Paul-Wulf-Skulptur am Servatiiplatz. Entstanden ist die Skulptur zu den Skulptur-Projekten 2007. Damals hatte die Künstlerin Silke Wagner zusammen mit dem Umweltzentrum-Archiv-Verein das Skulptur-Projekt „Münster von unten“ (www.uwz-archiv.de) entwickelt, zu dem auch die Paul-Wulf-Skulptur gehört. Die Skulptur würdigt nicht nur den „unermüdlichen Aufklärer“ Paul Wulf, sondern dient auch als „Litfaßsäule“ für Themen wie Antiatomkraftbewegung, Häuserkampf und Repression. Regelmäßig wird sie mit Flugblättern aus der Geschichte der Münsteraner sozialen Bewegungen und Infos zur Geschichte Paul Wulfs plakatiert. „Ich hatte Silke die Geschichte von Paul Wulf erzählt“, so Drücke, der das Projekt mitentwickelt und auch die Texte für die Homepage und die Skulptur geschrieben hat.
Der Freundeskreis Paul Wulf hatte nach einer gelungenen Spendensammelaktion die Skulptur aufgekauft und 2010 der Stadtgesellschaft geschenkt. Widerstände gegen die Skulptur des Anarchisten und Kommunisten Paul Wulf gab es zuvor aus Kreisen CDU und FDP, obwohl die Skulptur 2007 von den Lesern der Münsterschen Zeitung zur beliebtesten Skulptur der Skulptur-Projekte 2007 gewählt worden war. Seit 2020 ist der dauerhafte Verblieb der Skulptur am Servatiiplatz durch die Bezirksvertretung Mitte gesichert.
Abschließend kündigte Dr. Bernd Drücke ein neues Buch im Unrast Verlag an, mit dem am 2. Mai 2021 Paul Wulfs 100. Geburtstag gefeiert werden soll. Buchtitel: „Ich lehre Euch Gedächtnis“.
Der Leiter des Zentralfriedhofs, Markus Kortewille, will sich dafür einsetzen, dass das Grab von Paul Wulf in die Liste der Ehrengräber des Zentralfriedhofs aufgenommen wird. Er verspricht, bei der Grabpflege zu helfen: „Da müssen wir nur im Kontakt sein, da kann man gemeinsam darauf achten. Dass wir da gemeinsam mit im Wort und mit in der Tat stehen“.
Siehe auch:
11 Gedanken zu „Grab von Münsters bekanntestem Antifaschisten neu gestaltet“
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