Variablen setzten Beginn
(Hans-Dieter Hey, 03.10.2018) Diese deutsche Einheitsfeier schmerzt jetzt doch – nach 28 Jahren. Das Motto „Nur mit Euch“ hat einen bitteren Beigeschmack. So, als hätten die Einheitsfeiern bisher ohne „sie“ stattgefunden, aber ab heute „Nur mit Euch“. Es erinnert daran, dass die Einheit damals auch ohne „sie“ stattgefunden hatte, die da im Osten. Sicher, fast alle wollten die Wiedervereinigung, vor allem die D-Mark. Aber es ging auch um die Frage des „Wie“. Im Osten setzte Richard Schröder von der Ost-SPD auf schnellen Durchmarsch, im Westen Wolfgang Schäuble, der mit der D-Mark frohlockte. Gerhard Poppe vom „Runden Tisch“ im Osten wehrte sich noch gegen die Unterwerfung.
Und Oskar Lafontaine hatte mit seinem warnenden Zeigefinger keine Chance, obwohl ihm zeitweise nach Umfragen 80 Prozent der Menschen zustimmten. Als heftige Kontroverse herrschte landauf landab vor, ob die Wiedervereinigung nach Artikel 23 oder Artikel 146 des Grundgesetzes vonstatten gehen sollte. Zu leicht machte es sich die Volkskammer der DDR unter Lothar de Maizière, indem sie der Wiedervereinigung nach Art. 23 GG zustimmte und damit Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble auf den Leim kroch. Die DDR wurde als „Beitrittsgebiet“ vereinnahmt, die Bevölkerung nicht gefragt. Die Deutsche Demokratische Republik wurde so zur Geschichte, während in der BRD der Kapitalismus auf Tischen und Bänken tanzte.
Eine Neukonstituierung des Landes unter Beteiligung aller Deutschen nach Artikel 146 GG hatte sich erledigt. Ich selbst kann mich genau erinnern, dass sich bereits überall viele Diskussionsgruppen gebildet hatten. Menschen jeglicher beruflicher Herkunft, unterstützt durch Gewerkschafter, Wissenschaftler und andere Fachleute, diskutierten, wie Deutschland künftig aussehen sollte. Es gab das positive Ergebnis einer Volksbefragung, ein Verfassungsentwurf wurde diskutiert. Ich war in Frankfurt a. Main in der Arbeitsgruppe „Recht auf Arbeit“ aktiv und kann mich gut an die demokratische Aufbruchstimmung erinnern. Man hatte Hoffnung auf wirkliche Demokratie. Dinge, die Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble allerdings kaum interessierten.
Am Ende überließ man die Vereinnahmung der DDR der Ministerialbürokratie. Das Thema „Recht auf Arbeit“ wurde später allerdings zum Symbol für die weitere Entwicklung. Die DDR wurde nach Strich und Faden ausgenommen, ganze Industrieen wurden plattgemacht, hohe Arbeitslosigkeit stellte sich ein. Abgewickelt wurde wie mit einer maroden Firma durch einen Insolvenzverwalter „Treuhandanstalt“, der zeitweise mafiaähnliche Strukturen aufzuweisen schien. Die Menschen wanderten ab in den Westen – bis heute und wie damals bis 1961. Millionenfaches Ausbluten – auch intellektuell. Nach der „Wende“ folgte die Siegergeschichtsschreibung der BRD mit Ewigkeitsgültigkeit und Geschichtstilgung.
Zerstörte Lebensperspektiven, gelöschte Lebensbiographien und politische Enttäuschungen der Menschen in der damaligen DDR waren die Folge und interessierten im Westen nicht wirklich. Und nun, nach 28 Jahren? Heute treten die politisch geschlagenen Wunden wieder zutage. „Ihre Lebensleistung wird nicht anerkannt. Und nach wie vor hinken Löhne und Renten denen im Westen hinterher. All das ist letztlich nur ein Ausdruck dafür, dass Lebensjahre in der DDR als quasi ‚verlorene‘ Jahre hingestellt werden – als Zeit, die die Menschen in einem ‚falschen System‘ verbracht haben. Es ist notwendig, den Finger in die Wunde zu legen und auf die bestehenden Ungerechtigkeiten hinzuweisen“ meint Matthias Werner, Präsident des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden e.V. auf der „Alternativen Einheitsfeier“. Das lässt einen wichtigen Grund in den geteilten Ansichten vermuten: Die Spaltung des Landes ist eine Spaltung zwischen Oben und Unten und eine Spaltung in der gegenseitigen Wertschätzung.
Wie bereichernd wäre die Präambel von Christa Wolf zum Verfassungsentwurf der DDR 1989/1990 gewesen: „Ausgehend von den humanistischen Traditionen, zu welchen die besten Frauen und Männer aller Schichten unseres Volkes beigetragen haben, eingedenk der Verantwortung aller Deutschen für ihre Geschichte und deren Folgen, gewillt, als friedliche, gleichberechtigte Partner in der Gemeinschaft der Völker zu leben, am Einigungsprozeß Europas beteiligt, in dessen Verlauf auch das deutsche Volk seine staatliche Einheit schaffen wird, überzeugt, daß die Möglichkeit zu selbstbestimmtem verantwortlichen Handeln höchste Freiheit ist, gründend auf der revolutionären Erneuerung, entschlossen, ein demokratisches und solidarisches Gemeinwesen zu entwickeln, das Würde und Freiheit des einzelnen sichert, gleiches Recht für alle gewährleistet, die Gleichstellung der Geschlechter verbürgt und unsere natürliche Umwelt schützt, geben sich die Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik diese Verfassung.“
Aus geringer Wertschätzung und sozialer Spaltung ist nun Hass entstanden. Doch vielleicht können wir gemeinsam den für den Bestand dieses Landes hasserfüllten, gefährlichen und zerstörerischen Rechtsruck noch verhindern, wenn wir Wertschätzung aufbringen und endlich die soziale Spaltung beenden. Und wir sollten es doch – verdammt nochmal – schaffen, eine humanistisch orientierte Einheit in der Vielfalt in diesem Land herzustellen. Das wäre eine wirklich neue politische Offensive. Und da nützt nicht, wenn Wolfgang Schäuble an diesem Tag der Einheit droht: „Wer immer am Rechtsstaat und dem staatlichen Gewaltmonopol rüttelt, legt Hand an unsere Ordnung!“ Genau seine Ordnung hat zu den gegenwärtigen Zuständen geführt. Das hat Schäuble wohl noch nicht verstanden. Die Fotografien der „Alternativen Einheitsfeier“ vom diesem 3. Oktober 2018 aus Berlin stammen von Rudi Denner.
Hier eine Absichtserklärung des Kuratoriums Ostdeutscher Verbände e.V. (OKV)
(Hans-Dieter Hey, 03.10.2018) Diese deutsche Einheitsfeier schmerzt jetzt doch - nach 28 Jahren. Das Motto "Nur mit Euch" hat einen bitteren Beigeschmack. So, als hätten die Einheitsfeiern bisher ohne "sie" stattgefunden, aber ab heute "Nur mit Euch". Es erinnert daran, dass die Einheit damals auch ohne "sie" stattgefunden hatte, die da im Osten. Sicher, fast alle wollten die Wiedervereinigung, vor allem die D-Mark. Aber es ging auch um die Frage des "Wie". Im Osten setzte Richard Schröder von der Ost-SPD auf schnellen Durchmarsch, im Westen Wolfgang Schäuble, der mit der D-Mark frohlockte. Gerhard Poppe vom "Runden Tisch" im Osten wehrte sich noch gegen die Unterwerfung.
Und Oskar Lafontaine hatte mit seinem warnenden Zeigefinger keine Chance, obwohl ihm zeitweise nach Umfragen 80 Prozent der Menschen zustimmten. Als heftige Kontroverse herrschte landauf landab vor, ob die Wiedervereinigung nach Artikel 23 oder Artikel 146 des Grundgesetzes vonstatten gehen sollte. Zu leicht machte es sich die Volkskammer der DDR unter Lothar de Maizière, indem sie der Wiedervereinigung nach Art. 23 GG zustimmte und damit Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble auf den Leim kroch. Die DDR wurde als "Beitrittsgebiet" vereinnahmt, die Bevölkerung nicht gefragt. Die Deutsche Demokratische Republik wurde so zur Geschichte, während in der BRD der Kapitalismus auf Tischen und Bänken tanzte.
Eine Neukonstituierung des Landes unter Beteiligung aller Deutschen nach Artikel 146 GG hatte sich erledigt. Ich selbst kann mich genau erinnern, dass sich bereits überall viele Diskussionsgruppen gebildet hatten. Menschen jeglicher beruflicher Herkunft, unterstützt durch Gewerkschafter, Wissenschaftler und andere Fachleute, diskutierten, wie Deutschland künftig aussehen sollte. Es gab das positive Ergebnis einer Volksbefragung, ein Verfassungsentwurf wurde diskutiert. Ich war in Frankfurt a. Main in der Arbeitsgruppe "Recht auf Arbeit" aktiv und kann mich gut an die demokratische Aufbruchstimmung erinnern. Man hatte Hoffnung auf wirkliche Demokratie. Dinge, die Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble allerdings kaum interessierten.
Am Ende überließ man die Vereinnahmung der DDR der Ministerialbürokratie. Das Thema "Recht auf Arbeit" wurde später allerdings zum Symbol für die weitere Entwicklung. Die DDR wurde nach Strich und Faden ausgenommen, ganze Industrieen wurden plattgemacht, hohe Arbeitslosigkeit stellte sich ein. Abgewickelt wurde wie mit einer maroden Firma durch einen Insolvenzverwalter "Treuhandanstalt", der zeitweise mafiaähnliche Strukturen aufzuweisen schien. Die Menschen wanderten ab in den Westen - bis heute und wie damals bis 1961. Millionenfaches Ausbluten - auch intellektuell. Nach der "Wende" folgte die Siegergeschichtsschreibung der BRD mit Ewigkeitsgültigkeit und Geschichtstilgung.
Zerstörte Lebensperspektiven, gelöschte Lebensbiographien und politische Enttäuschungen der Menschen in der damaligen DDR waren die Folge und interessierten im Westen nicht wirklich. Und nun, nach 28 Jahren? Heute treten die politisch geschlagenen Wunden wieder zutage. "Ihre Lebensleistung wird nicht anerkannt. Und nach wie vor hinken Löhne und Renten denen im Westen hinterher. All das ist letztlich nur ein Ausdruck dafür, dass Lebensjahre in der DDR als quasi 'verlorene' Jahre hingestellt werden – als Zeit, die die Menschen in einem 'falschen System' verbracht haben. Es ist notwendig, den Finger in die Wunde zu legen und auf die bestehenden Ungerechtigkeiten hinzuweisen" meint Matthias Werner, Präsident des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden e.V. auf der "Alternativen Einheitsfeier". Das lässt einen wichtigen Grund in den geteilten Ansichten vermuten: Die Spaltung des Landes ist eine Spaltung zwischen Oben und Unten und eine Spaltung in der gegenseitigen Wertschätzung.
Wie bereichernd wäre die Präambel von Christa Wolf zum Verfassungsentwurf der DDR 1989/1990 gewesen: "Ausgehend von den humanistischen Traditionen, zu welchen die besten Frauen und Männer aller Schichten unseres Volkes beigetragen haben, eingedenk der Verantwortung aller Deutschen für ihre Geschichte und deren Folgen, gewillt, als friedliche, gleichberechtigte Partner in der Gemeinschaft der Völker zu leben, am Einigungsprozeß Europas beteiligt, in dessen Verlauf auch das deutsche Volk seine staatliche Einheit schaffen wird, überzeugt, daß die Möglichkeit zu selbstbestimmtem verantwortlichen Handeln höchste Freiheit ist, gründend auf der revolutionären Erneuerung, entschlossen, ein demokratisches und solidarisches Gemeinwesen zu entwickeln, das Würde und Freiheit des einzelnen sichert, gleiches Recht für alle gewährleistet, die Gleichstellung der Geschlechter verbürgt und unsere natürliche Umwelt schützt, geben sich die Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik diese Verfassung."
Aus geringer Wertschätzung und sozialer Spaltung ist nun Hass entstanden. Doch vielleicht können wir gemeinsam den für den Bestand dieses Landes hasserfüllten, gefährlichen und zerstörerischen Rechtsruck noch verhindern, wenn wir Wertschätzung aufbringen und endlich die soziale Spaltung beenden. Und wir sollten es doch - verdammt nochmal - schaffen, eine humanistisch orientierte Einheit in der Vielfalt in diesem Land herzustellen. Das wäre eine wirklich neue politische Offensive. Und da nützt nicht, wenn Wolfgang Schäuble an diesem Tag der Einheit droht: "Wer immer am Rechtsstaat und dem staatlichen Gewaltmonopol rüttelt, legt Hand an unsere Ordnung!“ Genau seine Ordnung hat zu den gegenwärtigen Zuständen geführt. Das hat Schäuble wohl noch nicht verstanden. Die Fotografien der "Alternativen Einheitsfeier" vom diesem 3. Oktober 2018 aus Berlin stammen von Rudi Denner.
Hier eine Absichtserklärung des Kuratoriums Ostdeutscher Verbände e.V. (OKV)