Ein Pyrrhussieg der Rechten wird allen schaden

Am 17. August wurde in Berlin gegen Rechtsruck und neue Faschisten und gegen einen geplanten Rudolf-Heß-„Gedenkmarsch” protestiert. “Lasst Nazis nicht marschieren und auch nicht mitregieren”, hieß es. Am 18. August wurde in Köln das von 1990 stammende antifaschistische Wandbild des “Aachener Wandmalers” Klaus Paier restauriert. Es ist also immer was los gegen rechts. Machen eigentlich genug dabei mit? Werden die Gefahren nicht unterschätzt?

„Führende Köpfe der deutschen Rechten formulieren ihre Ziele ganz offen: Sie wollen Druck aufbauen, die Gesellschaft verunsichern, das politische System destabilisieren und zugleich in die Schaltstellen der Demokratie jenseits der Parlamente einsickern. In Vereine, Gewerkschaften, Gerichte, Polizei, Bundeswehr. Dahin, wo die Multiplikatoren sitzen und die heimlichen Herrscher über die öffentliche Meinung. Denn wer erst einmal die Macht errungen hat über die Köpfe, der erringt irgendwann die Macht über alles. Zum Teil hat es die Rechte bereits geschafft“ äußerte Andreas Hoidn-Borchers kürzlich im Stern. Weiter unten mehr!

Woher der zerstörerische Hass?

Wir reden hier nicht nur von neuen faschistischen, gewalttätigen Splitter- und Schlägergruppen, der NPD, der Partei ‚Die Rechte‘, den Identitären, den Reichsbürgern oder anderen. Die AfD sollte hier keineswegs vergessen werden. Im Osten ist ein großer Teil der Rechten zu verorten. Bei den Thüringer Landtagswahlen könnte die AfD 23 Prozent erringen. Ins Rampenlicht gerät nun ein ehemaliger Fallschirmjäger, der in politischen Fragen wohl eher an Kenntnis arme Andreas Kalbitz aus Kottbus. Ihm werden Kontakte zum rechtsextremen Millieu nachgesagt. Zudem soll er an zweifelhaften Hitlerfilmen beteiligt gewesen sein. Er folgt offenbar dem inzwischen verblassenden ‚Scheinriesen‘ (Der Spiegel) der AfD, der „Faschist“ (taz) Björn Höcke.

Wahrscheinlich liegen die Ursachen für die Zustimmung zu von Hasstiraden begleitetem, rassistischen, völkischen und faschistoiden Gedankengut bei so Vielen tiefer und sie wollen mit einer rechten Revolte und ihrer „zivilisationszerstörenden Verabsolutierung des Nationalstaats“ (Paul Sering 1967) die Werte der Zivilgesellschaft und deren Systeme zerschlagen. Sie trachten danach, Andere, die nicht ihrer Meinung sind, zu „jagen“, wie Bundessprecher der AfD, Dr. Alexander Gauland, der erschütterten Öffentlichkeit medienwirksam mitteilte.

Woher dieser Hass auf Alle, die anders denken oder sind? Liegt es möglicherweise an den von manchen Zeitgenossen ausgemachten, im Ausmaß aber nur eingebildeten Problemen? Die Nachwendezeit nach 1990 lieferte doch bessere Straßen als im Westen, die Häuser wurden neu gestrichen – Fallerhäuschen-Idylle überall. Der neue Konsumrausch bot fast allen alles.

Sind Entwürdigung und Ausgrenzung verantwortlich?

Weil die geistig-moralische Entwicklung bei vielen Neonazis und neuen Faschisten unterentwickelt ist und sich Fehleinschätzungen von Realität verfestigen, können wir auf längst Erwiesenes zum Thema zurückgreifen. Kommen wir daher der Sache näher, indem wir auf eine Rede von Theodor W. Adorno schauen, die aktuell zum wiederholten Male in den Buchhandlungen vergriffen ist. Er weist bereits 1967 auf die „permanente Deklassierung von Schichten, die ihrem subjektiven Klassenbewusstsein nach durchaus bürgerlich waren, die ihre Privilegien, ihren sozialen Status festhalten möchten und womöglich verstärken.“ Heute fühlen sich solche Menschen im Westen – mehr noch im Osten – mit ihrer mehrfachen Transformationserfahrung – durch Klimaentwicklung, Arbeit 4.0, die Digitalisierung, Einkommensungleichheit, Rentenungleichheit oder Niedriglöhne überfordert, verunsichert, bedroht, beruflich missachtet und misstrauen dieser Politik.

Nun können wir aufgrund dessen leicht nachvollziehen, dass der Vertrauensverlust in einen neuen demokratischen Sozialismus wegen des gescheiterten staatssozialistischen Ausflugs der DDR in der Diskussion präsent ist. Eine der gefährlichen Fehleinschätzungen ist allerdings, dass manche den Faschismus für eine soziale Bewegung halten. Die empfundene Bedrohung führt also keineswegs in eine längst überfällige politische Grundsatzdebatte, sondern zu hasserfüllten Emotionen auf der Straße und in den sogenannten sozialen Netzwerken, die sich vor allem bei politisch Ungebildeten, bei Desinteressierten, Weltvereinfachern – aber auch in der Mittelschicht wiederfinden. Solche Gruppen haben beispielsweise den großen Wandel in die zukunftsweisenden linken Debatten der Gegenwart (zum Öko-Sozialismus oder Neosozialismus siehe Dörre 2019) nicht mitbekommen, die überdies von den meisten Medien ignoriert und boykottiert werden. Bei ihnen hat man gelegentlich den Eindruck, dass Konservativismus und rechte Orientierung bevorzugt behandelt werden.

Sogar Gruppen „die sich zugleich als anti-schwarz und anti-rot empfinden, tendieren mit dieser doppelten Frontstellung fast a priori zum Rechtsradikalismus“, und demnach auch solche Gruppen mit „einem Hass auf den Sozialismus oder das, was sie Sozialismus nennen.“ Solche Menschen, so schreibt Adorno, richten die Schuldzuweisung nicht an die Verursacher ihres Dilemmas, sondern sie zeigen „auf diejenigen, die dem System, in dem sie einmal Status besessen haben (…) kritisch gegenüber stehen.

Gerade rechte Gruppierungen beweisen trotz aller öffentlicher Großmäuligkeit in gewisser Weise eine große Feigheit, sich nicht gegen die Verursacher zu stellen, sondern gegen Geflüchtete, gegen Linke, gegen Menschen jüdischen Glaubens, Obdachlose oder andere schwache Minderheiten. AfD-Wähler müssen sich diesen „Geist des Unerträglichen“ zurechnen lassen! Die Ursachen sind allerdings ganz andere, und die historische Kontinuität muss nicht erläutert werden.

Und die Verursacher?

Wen können wir als Verursacher ausmachen? Erst kürzlich gab uns der ehemalige Finanzminister Theo Waigel öffentlich den Hinweis. Für unsere Gesellschaft sei eine gewisse Spaltung notwendig. In unserem Marktradikalismus und neoliberalen Wettbewerbswahn ist die gesellschaftliche Spaltung somit systemimmanent verabsolutiert. Doch „wer eine bestimmte Form der Ökonomie verabsolutiert (…), negiert die Politik im Allgemeinen und die Demokratie im Besonderen…“ (Butterwegge 2008). Als aktuelle Auswirkungen sehen wir, wie sich Autolobby, Chemielobby, Finanzlobby, Wohnungslobby, Energielobby und Globalisierungsdruck erfolgreich gegen die für Zukunftssicherung notwendigen politischen Entscheidungen durchsetzen. So entscheiden die wichtigsten Unternehmen “über Arbeitsplätze, Arbeits-, Wohn-, Ernährungs- und Umweltverhältnisse, über Produkte, Gewinnverteilung, Armut, Reichtum, Staatsverschuldung” (Rügemer 2018).

Wer aber glaubt, dass die Rechten inclusive der AfD die Lösung für alle komplizierten, insbesondere sozialen Fragen bieten, liegt gefährlich neben der Realität. Gerade deren Handeln spaltet für jeden sichtbar zusätzlich die Gesellschaft. Für sie „bieten sich gute Entfaltungsmöglichkeiten, weil dies nicht nur die Konkurrenzsituation zwischen den einzelnen Wirtschaftsstandorten und -subjekten verschärft, sondern auch zu einer sozialen Polarisierung der Arbeit (…) sowie einer Pauperisierung großer Teile der Bevölkerung bei gleichzeitiger Explosion der Unternehmensgewinne (…)“ führt. (Butterwegge 2008) Den Kapitalinteressen dürfte die rechte Entwicklung durchaus in die Hand spielen, wie wir in anderen Ländern längst feststellen können.

Der Ausnahmeökonom Thomas Piketty 2017 zu den Ursachen: „Wir haben verschiedene Ungleichheitsstudien, die sehr deutlich gezeigt haben, dass wir in der gesamten OECD-Welt so etwas haben wie einen Trend zu mehr Ungleichheit.“ Das wird prinzipiell von Rechten unterstützt, denn ihnen fehlt die wichtigste Kraft menschlichen Zusammenhalts: Die Solidarität. Mit einem „Merkel-muss-weg-Geschrei“ ist es nicht getan, zudem kommen von Rechts keine zukunftsweisenden Ideen, kein ideelles Fundament, weil dort außer einer Scheinsolidarität nichts Zukunftsweisendes vorzufinden ist.

Daher muss sich ökonomisch ändern, dass die ärmsten Haushalte bei uns „real über acht Prozent weniger Nettoeinkommen als 1991 haben, die reichsten dagegen über 35 Prozent mehr. Seit der Finanzkrise hat sich das Auseinanderdriften der Reichsten und der Ärmsten noch beschleunigt.” (Handelsblatt) Hier wird klar: Die Spaltung geht also zwischen “Oben” und “Unten”.

Was wäre für die Zivilgesellschaft dringend notwendig?

Zunächst ist festzustellen, dass die Rechten bereits zu Adornos Zeiten mit ihrem Brain-Washing perfekt in der Anwendung propagandistischer Mittel waren. Sie haben in ihrer ganzen Verlogenheit genial „die Differenz zwischen den realen Interessen und den vorgespiegelten falschen Zielen ausgeglichen.“ Heute sind sie die wahren Fake-News-Verbreiter. Und wir wissen, dass vor allem die AfD in der Nutzung der sogenannten sozialen Netzwerke Perfektionismus beweist und hohe Medien-Reichweite und Zugriffszahlen erreicht. Wir sehen gerade in den USA, dass dir rechte Trump-Regierung die Gesellschaft dermaßen spaltet, dass eine bürgerkriegsähnliche Stimmung entsteht. Dabei ist sein Schulterschluss zum Kapital unverkennbar. Den wenigsten im Lande wird das nutzen.

Es geht tatsächlich darum, dass sich die aufgeklärte Zivilgesellschaft massiv, öffentlich und stärker als bisher gegen weiteren Rechtsruck stellt und nicht in der Aufklärung nachlässt. Gemeint ist nicht die „Aufklärung“ durch die AfD und andere Rechte. Denn solche „Aufklärung schlägt in Gegenaufklärung um; fortschrittliche Ideale werden in ihr Gegenteil verkehrt. Die Aufklärung mündet in Unterordnung, skrupellose Machtausübung und Gewalt – sie mündet letztlich in Faschismus“. Das wussten Adorno und Horkheimer schon 1988. Zudem muss dringend eine ökonomische Grundsatzdebatte in Gang kommen, weil solche Kenntnisse in der Gesellschaft mehr als marginal sind. Die Basis für tatsächliche Veränderung kann nur Erkenntnisgewinn sein.

Der Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup, im August 2019: „Da muss ich leider zu dem vernichtenden Urteil kommen, dass wir eine Sprechblasenpolitik haben, da ist Null-Substanz…Diese (Anm.: kapitalorientierte) Macht greift den demokratisch verfassten Staat an, unterminiert ihn, stellt Forderungen, die wir kennen: Niedriglohn oder niedrige Gewinnsteuersätze, bloß keine Vermögenssteuer, bloß keine Erbschaftssteuer, bloß ein einseitiges Wirtschaftsarbeitsrecht. Und die Politik gehorcht und setzt dieses um. Und gleichzeitig wundert sich die Politik, dass die Menschen dies nicht mehr nachvollziehen können. Und dann kommt es im Politischen zu Neofaschisten, die wir in ganz Europa haben”. Nun kennen wir die Ursachen – und wer nichts dagegen vorzuweisen hat. Wie lange wollen wir eigentlich die Gefahr von Rechts noch ignorieren? (aktualisiert: 04.10.2019, Hans-Dieter Hey, Fotos Rudi Denner)

Siehe auch aktuell:

Dieter Segert: Verpasste Chancen im 41. Jahr

Horst Kahrs: Ein neuer Zyklus der deutschen parlamentarischen Demokratie – einige Vorschläge nach dem Wahlausgang

Neoliberaler Totalitarismus und der Sozialvertrag, Jon Kofas, Emeritus University of Indianapolis, 2019

Neoliberal Totalitarianism and the Social Contract, Jon Kofas, Emeritus Indiana University, 2019

Zum Nachlesen: 

taz v. 29.09.2019, „Stigmatisiert sie“
Dörre, Schickert: Neosozialismus, 2019, oekom-Verlag
Butterwegge, Lösch, Ptak: Neoliberalismus, Analysen und Alternativen, 2008, VS-Verlag
Nolte: Theorien über den Faschismus, Verlag Kiepenheuer & Wisch, 1967
Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, 2019, Verlag Suhrkamp
Bontrup, „Zwischentöne“, Deutschlandfunk, am 11.08.2019
Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert, 2014, Verlag C. H. Beck
Handelsblatt v. 7.5.2019, Kluft zwischen Arm und Reich: Umverteilung darf kein Tabu sein
Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, 1988, Verlag Fischer
Rügemer, Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, 2018, Papyrossa-Verlag

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