Variablen setzten Beginn
Vor der Bundestagswahl 1983 war ich für ein Wochenendseminar der Gewerkschaft ötv in Hattingen an der Ruhr. Rund um den Tagungsort war an den Straßen jede Laterne, jeder Baum und jede sonstige Möglichkeit mit Wahlplakaten dekoriert, und zwar zu 90 % von der dort seinerzeit recht gut verankerten und augenscheinlich finanziell, von wem auch immer, noch üppig ausgestatteten DKP.
Heute sieht man beim Gang durch eine Stadt, dass die Druckereien nicht mehr so viel am Wahlkampf verdienen wie früher. Ganz verzichten auf Plakatwerbung will man in der Politik aber auch nicht, ein paar Bäume müssen immer noch dran glauben. Und eine gewisse Soziologie der Plakatierung ist immer noch, eher noch mehr erkennbar: Wer wo plakatiert, lässt auf die soziale Struktur der Gegend schließen.Fortsetzung unten!
Im „ärmeren“, migrativ buntgemischten Hochhausviertel Chorweiler dagegen zeigt sich ein breiteres Spektrum, meist von CDU, FDP, Grünen, SPD, Linken – und auffallend viel von der linken Splittergruppe MLPD. Auch rund um das nahegelegene Fordwerk ist politisch nur das linke Lager sichtbar. Eine Gemeinsamkeit fällt auf: Von ganz rechts ist in beiden Revieren nichts zu sehen.
Inhaltlich hat sich nicht viel getan. Die üblichen Köpfe, ein paar meist wenig originelle Parolen. Vor allem die AfD kupfert hierbei gern aus der Mottenkiste der Konkurrenz ab: „Freies Netz für freie Bürger“? Gab’s schon von den wieder in der Versenkung verschwundenen Piraten. (jetzt sicherlich aus anderen Motiven – schließlich wollen die ungehindert ihre „alternativen“ Sichtweisen verbreiten.) „Mehr Kinder sichern Rente“? Hatte schon die CDU zu Rüttgers‘ Zeiten. Und „Landschaft statt Windparks“? Wüstenlandschaft wäre das dann wohl. Fand bisher aber auch die NRW-Landesregierung unter Laschet. Dass den Halbnazis zur Zukunft mit Klima, Energie und Verkehr nichts einfällt, wird auch damit sichtbar.
Farblich ist die SPD vom Orange wieder mehr ins Rot gerückt. Soll sicher auch was bedeuten. Etwas Originalität zeigt sie im Rhein-Erft-Kreis westlich von Köln, wo ein 23-jähriges Jungtalent als Direkt- und gleichzeitig Ersatz-Kanzler-Kandidat antritt und neben ein paar unkonventionelleren Sprüchen auch mal mit einem QR-Code auf dem Plakat zu mehr Info einlädt.
Auffallend und neu ist jetzt auch bei mehreren die offensive Werbung für die Briefwahl. Offiziell natürlich wegen Corona. Aber vielleicht auch nach dem Motto: dann ist die Stimme schon im Kasten, falls noch irgendein Fauxpas oder ein Skandälchen auffliegt?
Wer übrigens meint, die Wahlplakate geben nicht die wichtigen Themen wider, kann hier echte Alternativen finden – und auch selbst gestalten:
https://www.deinplakatfuerunserezukunft.de/galerie/
Einige Beispiele daraus sind der Bildergalerie angefügt.
Auf dem Wahlzettel immerhin ist mehr bunte Vielfalt. In NRW stehen diesmal 27 Parteien drauf. So kann man z. B. auch LIEBE wählen. Im Rhein-Erft-Kreis sogar mit einer Direktkandidatin, dazu hätte man vielleicht gern mal ein Bild gesehen. Der Name lässt auf osteuropäische Herkunft schließen, auch bei den weiteren 5 Kandidaten auf der dazugehörigen Liste. Auch eine V3-Partei gibt es. V3 steht für Vegetarier, Veganer und Veränderung. Man hatte wohl Sorge, als VVVP könnte es zu Verwechslungen mit der niederländischen Touristen-Info kommen. Dann gibt es auch noch eine du (die urbane), eine Partei der Humanisten und eine für Gesundheitsforschung (Christian Drosten steht aber nicht drauf).
Beim Kästchen für die Zweitstimme können die Parteien auf dem Wahlzettel die 5 Erstplatzierten von ihren Listen benennen. Bei der AfD sind das nur Männer. Da sind sogar die politischen Großeltern von der NPD weiter, 3 von 5 sind Frauen. Worauf man natürlich ebenso verzichten kann wie auf „Die-mit-dem-Fuß-aufstampft“ (Alice Weidel). Eine Kinderlobby-Partei tritt nur mit einem Duo an, und das sind beides Frauen – was auch wieder dem Klischee entspricht.
Ein weiteres Unikum ist die erst im November 2020 gegründete Liste Todenhöfer. Der namensgebende Kopf war vor Urzeiten mal für die CDU im Bundestag – und ein SPD-Fraktionär verjuxte den Namen damals gern mal in Hodentöter. Der SPD-Mann hieß Herbert Wehner und ist seit 1983 (!) nicht mehr dabei. In der Zwischenzeit war Todenhöfer auch raus aus dem Politbetrieb, ist viel in der Welt herumgekommen, machte sich dabei einen Namen als Kenner der islamisch-islamistischen Szene – und will es jetzt, mit über 80, nochmal wissen. Vielleicht dient er sich nach der Wahl ja ersatzweise als neuer Botschafter in Afghanistan an.
12 Gedanken zu „Sinn und Unsinn auf Wahlplakaten“
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